© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Pankraz,
der Louvre und das Gesicht in der Wüste

Menschenzoo“ nannte ein aufgeweckter Beobachter aus Hamburg das Unternehmen „Louvre Abu Dhabi“, das vorige Woche mit ungeheurem Getöse in dem Emirat auf der Arabischen Halbinsel eröffnet wurde. Es erinnere ihn, sagte er, an gewisse während der Kaiserzeit um 1900 bei Hagenbeck veranstaltete Ausstellungen, bei denen keine exotischen Tiere gezeigt wurden, sondern exotische Menschen aus den Kolonien, halbnackte Stammeskrieger aus Kamerun oder Samoa mit ihren Waffen, Tänzen und Gesängen. Die modernen, aufgeklärten Hagenbeck-Besucher hätten sich damals köstlich amüsiert und auch manches gelernt.

Mit solchen Erinnerungen steht der Mann natürlich völlig quer zu der Medienpropaganda, die um „Louvre Abu Dhabi“ herum veranstaltet wird. Das Unternehmen, heißt es, sei ein gleichsam offizielles Signal zur Eröffnung eines Zeitalters der Toleranz und der Vielfalt in der muslimischen Welt. Aus den Schätzen des Pariser Louvre würden Kunstwerke gezeigt, deren Anblick bisher nur gelehrten Experten und im Glauben gefestigten Imamen möglich gewesen sei. Nun könne sich faktisch jedermann mit Leonardo da Vinci, Michelangelo, Monet, Renoir, Van Gogh bekannt machen. Sogar der nackte Apollo von Belvedere werde gezeigt!

Aber die Metapher vom Menschenzoo, findet Pankraz, paßt trotzdem sehr gut. Schon wie der Louvre Abu Dhabi (LAD) angelegt ist, bestätigt die Zooperspektive. Das Ganze ist auf einer staubigen kleinen Insel beim Hafen von Abu Dhabi-Stadt untergebracht und wird von einer riesigen flachen Kuppel überwölbt und so von der realen Außenwelt abgeschlossen. Darunter entfaltet sich eine Art arabischer Basar mit zahllosen Sackgassen und Winkeln, nur gibt es nichts zu kaufen, sondern nur anzuschauen. Man bekommt tatsächlich das Gefühl, in einem Zoo herumzuspazieren.


Dessen Bewohner, so empfindet man, sind als lebendige Wesen zwar  irgendwie mit einem selbst verwandt, durchaus interessant und zur Solidarität einladend, doch um wirklich so zu sein „wie wir“ fehlt ihnen (noch?) das Wichtigste und letztlich Entscheidende, nämlich der richtige Glaube, was im Islam ja heißt: der Glaube an den allmächtigen und allgütigen Gott, der unsichtbar über allem waltet und den zu verbildlichen nicht erlaubt ist, eine freche Anmaßung und schwere Sünde ist.

Und da die ganze Welt vom Willen Gottes durchtränkt und deshalb selber, zumindest partiell, göttlich ist, erstreckt sich die Sündhaftigkeit des Abbildens eben auch auf die ganze Welt, auf den Propheten sowieso, aber auch auf viele Phänomene und Situationen des Alltags, auf das Gesichtzeigen zum Beispiel, das nun aber gerade in der abendländischen Kunst eine eminente Rolle spielt und von ihr unendlich thematisiert wird. Auch der jetzt eröffnete LAD zeigt – wie könnte es anders sein –  klassische Frauengemälde mit offenem Gesicht. Wird das auf Dauer gutgehen?

Viele der künftigen LAD-Besucher werden aus einer Öffentlichkeit kommen, in der ihnen Frauen nur als tief verschleierte „Pinguine“ (Ralph Giordano) begegnen, mit Gesichtsmasken, die gerade noch einen schmalen Schlitz für die Augen freilassen. Hier im LAD sehen sie nun stolze Frauen, die ihr Gesicht nicht einmal mehr in starre, offiziell oder familiär erwünschte Würdefalten legen, wenn sie sich abbilden lassen, die vielmehr ihr unverhülltes Gesicht zum Schauplatz ihrer Gefühle machen, Kummer und Freude gegeneinander antreten lassen. Ist das nicht, so mögen sie sich fragen, die bessere, gottgemäßere Art zu leben?

Gewiß, heute ist die Porträtkunst, wie sie Louvre-Bilder bezeugen, dank der neuen Medien erloschen. Die elektronische Bilderflut insgesamt und der Selfiewahn, sich per moderner Mini-Kamera jederzeit selber grinsend ins Bild zu setzen, erzeugen nicht gerade Sympathie, könnten einen sogar dazu verführen, die islamische Bilderfeindlichkeit, ihren Ikonoklasmus, für vernünftig zu halten. Aber alles hat sein Maß. Wer es allen Ernstes darauf anlegt, die vielfältige gesichterfreudige Menschenwelt zum bloßen Zoo zu machen, der darf sich nicht wundern, wenn ihn eines Tages die Wölfe fressen.


Es könnte jedenfalls durchaus passieren, daß das Projekt LAD seinen Exekutoren eines Tages krachend auf die Füße fällt. Nicht die Louvre-Leute und nicht die französische Regierung waren es ja, die das große Geschäft in Gang brachten, sondern superreiche arabische Clans in Abu Dhabi und den anderen Golf-Emiraten, die buchstäblich nicht mehr wußten, was sie mit ihren Ölmilliarden anstellen sollten, und deshalb beschlossen „von allem das Beste“ einzukaufen, Ingenieure aus Deutschland, Lohnarbeiter aus Pakistan. Künstler aus Frankreich. 

Inzwischen haben sich die Zeiten aber geändert. Bitterste Machtkämpfe zwischen Sunniten und Schiiten sind ausgebrochen und fordern unzählige Opfer, siehe den Aushungerungs-krieg der Saudis gegen den Jemen. Die asiatischen Lohnarbeiter rebellierten und werden immer ungemütlicher. Und nun kommen auch noch die europäischen Künstler und Kuratoren  und treiben die Abbildnerei mit ihren Museumsgesichtern auf die Spitze!

Auf bloßen Menschenzoo kann man die vielen offenen Gesichter auf Dauer nicht mehr reduzieren. Kann man sie überhaupt noch loswerden? Auf satte dreißig Jahre sind die milliardenschweren Verträge über Ausleihfristen und Arrangements mit dem Louvre angelegt; sie zu kündigen und die fälligen Strafen dafür zu bezahlen, wären nicht einmal mehr die reichsten Scheichs der großen, mit Öl gesegneten Wüstenhalbinsel in der Lage.

Sie sind sich schon lange nicht mehr einig, wie die derzeitigen Nachrichten über den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und seinen verbissenen Gefängniskrieg gegen die übrigen, „reaktionären“ Prinzen deutlich zutage bringen. Es tobt ein schwerer Machtkampf auf der Halbinsel. Und es ist kein banaler Machtkampf, sondern nicht zuletzt ein Kampf um das offene Gesicht.