© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

An der großen Sünderin versündigt
Die Wiederaufführung von Eduard Künnekes komischer Oper enttäuscht
Sebastian Hennig

Autoren können für die Schublade schreiben, Maler für bessere Zeiten ihre Bilder im Atelier horten. Doch ein musikdramatisches Talent bedarf zu gültiger Entäußerung keiner geringeren Umstände als eines guten Orchesters, hervorragender Sänger, Bühnenbildner, Regisseure und eines Theaterhauses. Die politische Stimmung der Zeit wird darüber entscheiden, ob sich die Begegnung von Werk und Publikum überhaupt und in welcher Qualität vollzieht. 

Eduard Künneke („Vetter aus Dingsda“) wurde nur wenige Monate nach seinem Eintritt in die NSDAP im Mai 1933 wegen „nichtarischer Versippung“ wieder ausgeschlossen. Zeitgleich feierte er mit „Die lockende Flamme“ einen Publikumserfolg, bis eine Aufführung des Singspiels 1935 in Schwerin wegen organisierter Pöbeleien der SA abgebrochen werden mußte. Für die Aufführung einer Silvesteroperette an der Berliner Staatsoper Unter den Linden am 31. Dezember 1935 erhielt Künneke trotzdem einen Staatsauftrag. Die Fachblätter diskutierten vorab erwartungsvoll darüber, wie dank Künneke „die deutsche Operette zum wirklichen Kulturfaktor werden kann“. Entstanden ist mit „Die große Sünderin“ nicht weniger als eine komische Oper im Geiste der Meister Lortzing, Nicolai und Flotow und zugleich im Gewand der Zeit.

Nach der Uraufführung war das Werk noch einige wenige Male zu erleben, verschwand danach aber von den Spielplänen. Künneke berichtet: „Nach der 3. Vorstellung nahm man mir in der höflichsten Form die Leitung der Vorstellung ab und beauftragte einen kleinen Korrepetitor damit, der der Sache gar nicht gewachsen war.“ Eine Übertragung mit Ausschnitten der Uraufführung durch den Reichssender Leipzig wurde gleichfalls boykottiert. Was von dem Ereignis lange blieb, waren einige Arien, gesungen von Helge Rosvaenge und Tiana Lemnitz und die Nachkriegs-

einspielung durch Künnekes schlesischen Kapellmeisterfreund Franz Marszalek mit Rudolf Schock. Dabei ist es nun bis heute geblieben.

Denn auch die Leipziger Wiederaufführung nach achtzig Jahren ist nicht geeignet, die Ohren und Augen für dieses Werk zu gewinnen. „Die große Sünderin“ hätte an das Uraufführungshaus gehört. Es hätte statt in Leipzig an der neueröffneten Staatsoper Unter den Linden als deren erste Silvestervorstellung gegeben werden sollen; als Beweis dafür, daß man hier fortan wieder der Kunst die Ehre geben und nicht das Genie und die Schönheit in kulturpolitischen Diskursen ertränken will.

Die dekonstruktive Absicht bleibt unverkennbar

Sodann hätte es weniger Talmi und mehr Stil bedurft, weniger Varieté und mehr Rokoko. Vor allem aber wären bessere Stimmen und ein erstklassiges Orchester benötigt. Wobei Chor und Orchester der Musikalischen Komödie Leipzig unter der Leitung von Stefan Klingele noch die beste Leistung erbringen und stellenweise den prickelnden Schmelz von Künnekes Musikantentum mindestens ebenso aufbrausen lassen wie Marszalek vor Jahrzehnten mit seinen Kölnern. Besonders schön gelingt die Stelldichein-Szene im nächtlichen Garten des Schlosses Bonbonniere im zweiten Akt.

Doch die Regie von Alexandra Frankmann gibt sich mit billiger Possenreißerei zufrieden. Unverkennbar bleibt die dekonstruktive Absicht. Keinesfalls soll ein Werk geadelt werden, in dem das Soldatentum unkritisch als ein besonderer Status menschlichen Seins vorkommt. Wenn das Freifräulein Jakobe (Nora Lentner) den Leutnant Sommerfeld (Jeffery Krueger) bewundernd ansingt: „Wer Soldat ist, ist ein ganz besondrer Mann, denn die Pflicht, die er hat ...“ und dann reimt sich im aufreizenden Marschrhythmus „Rekognoszieren, die Festung bombardieren, marschieren, attackieren“, worauf der kleine Leutnant sie zurückfragt: „Sein Reglement im Kriege kennt er schon. Wie steht es mit der Friedensinstruktion?“

Dergleichen frivolem Umgang mit dem Militär dürfen mündige Bürger kein Amüsement abgewinnen. Unter einem militant-pazifistischen Gesichtspunkt muß es pflichtschuldig der Lächerlichkeit ausgeliefert werden. Sogar die Liebesgeschichte um den rührend kauzigen Major Tellheim in Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ wurde unlängst im Staatsschaupiel Dresden in eine Freakshow überführt.

Ebenso peinlich scheint der Regisseurin die Freizügigkeit und das weibliche Selbstbewußtsein zu sein, von denen „Die große Sünderin“ gekennzeichnet ist. Denn das paßt so gar nicht zusammen mit den Theweleit-Phantasien von der autoritären Männlichkeit jener Epoche. Das musikalische Genie Künnekes kommt also nach achtzig Jahren immer noch nicht aus der politischen Haftung heraus. Es soll bis in alle Ewigkeit der Vorwurf verlängert werden, als talentierter Mensch in der falschen Zeit gelebt zu haben. Indem sich unsere asketischen Schulmeister weiterhin so verhalten wie die damaligen Peiniger, glauben sie zu bewirken, daß sich das nie wiederholen wird, was sie zugleich in schäbiger Tradition exekutieren.

Die nächsten Vorstellungen von „Die große Sünderin“ in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12,  finden statt am 18./19. November sowie am 12. und 27. Dezember. Kartentelefon: 03 41 / 12 61-261

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