© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Realität und Wahn
Kino II: „Animals – Stadt Land Tier“ von Greg Zglinski
Wolfgang Paul

Für diesen Film wird es keine großen Ankündigungen geben, keine Werbung vor der Tagesschau und vermutlich nur wenige Kritiken in den sogenannten Leitmedien. „Animals – Stadt Land Tier“ ist eine relativ kleine Produktion aus Österreich, der Schweiz und Polen. Sie wird von einem kleinen deutschen Verleih herausgebracht, der den Originaltitel „Tiere“ wohl für zu nichtssagend oder irreführend hielt, und ist dennoch einer der ungewöhnlichsten und sehenswertesten Filme der letzten Zeit.

Wie bei vielen beeindruckenden Filmen ist mit der Wiedergabe des Inhalts nur wenig gesagt. Wichtiger ist die Art und Weise, wie der Inhalt präsentiert wird, und ob es dem Film gelingt, eine eigene, faszinierende Welt zu erschaffen.

Die Voraussetzungen dafür waren in diesem Fall denkbar günstig. Dem polnischen Regisseur Greg Zglinski ging ein Drehbuch, das er vor Jahren als Kommissionsmitglied der Zürcher Filmstiftung gelesen hatte, nicht mehr aus dem Sinn. Es stammte von dem Filmemacher Jörg Kalt, der sich 2007 das Leben genommen hat. Darin ist von einer unwirtlichen Welt die Rede, die sich Erklärungen verweigert.

Zwei Geschichten werden parallel erzählt. Die eine spielt in Wien, wo ein Ehepaar in einer Krise steckt und mit einer Auszeit in den Schweizer Alpen einen Neustart in Angriff nehmen will. Die Wohnung überlassen die Eheleute einer jungen Frau, die sie in ihrer Abwesenheit hüten soll und die bald Seltsames erlebt. Sie fällt im Hausflur, verletzt sich am Kopf und wird von einem Arzt mit neun Fingern behandelt, der dann zehn Finger hat und dem später in einem Kampf, man ahnt es bereits, einer abgezwackt wird.

Die andere Geschichte handelt von eben jenem Schweiz-Urlaub. Anna (Birgit Minichmayr) ist eine Kinderbuchautorin, die sich vorgenommen hat, einen Roman für Erwachsene zu schreiben. Nick (Philipp Hochmair) plant, ein Buch mit weniger bekannten Schweizer Rezepten herauszubringen. Doch wie manche guten Vorhaben wenden sich auch diese gegen ihre Urheber.

Als die beiden im offenen Cabrio dem gemieteten Almhaus entgegenfahren, ist Nick durch ein Ratespiel abgelenkt und überfährt ein Schaf, das plötzlich auf der Straße steht. Nach diesem Unfall trägt auch Anna einen Kopfverband, und ihre Wahrnehmung ist gestört. Sie glaubt, gestern erst angekommen zu sein, während Nick meint, sie seien schon zwei Wochen in der Schweiz.

Weil sie mit ihrem Romanprojekt nicht vorankommt, fährt sie mit Nick ins nahe Vevey. Dort glaubt sie, ihn zu sehen, wie er eine Eisverkäuferin küßt. Später, als sie ihm nachfährt, beobachtet sie ihn beim Geschlechtsverkehr. Außerdem sagt eine schwarze, bedrohlich ausschauende Katze zu ihr, sie sei womöglich verrückt. Und mit Nick kommt es zu einem der irrsten Dialoge der Filmgeschichte.

Das Beziehungsdrama wird zum Alptraum. Keiner, und das gilt auch für das Kinopublikum, kann der eigenen Wahrnehmung trauen. Dennoch ist Annas Verdacht, daß Nick sie mit der Nachbarin Andrea betrügt, durchaus begründet. Um die Täuschung perfekt zu machen, hat Regisseur Zglinski Mischa, die Hüterin der Wiener Wohnung, die Eisverkäuferin in der Schweiz und Andrea mit einer Schauspielerin (Mona Petri) besetzt. Felsenfest ist dann auch Andreas Ex-Freund überzeugt, daß Mischa in Wirklichkeit Andrea ist.

Der Film bietet keine Lösungen an und frustriert den Betrachter trotzdem nicht. Das liegt an seinem schwarzen Humor. „Animals“ bereitet in den skurrilsten Situationen ein geradezu diebisches Vergnügen, mit dem vergleichbar, das man bei einer gelungenen Parodie empfindet. Und nicht nur das, auch mit einer eindringlichen Bildsprache und Musik kann Zglinski gerade die Zuschauer begeistern, die, im Kino vom Gängigen gelangweilt, sich lieber überraschen lassen wollen.

 Filmstart am 16. November