© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Klotzen und nicht kleckern
Cambrai 1917: Der massive „Tank“-Einsatz der Briten führte erstmals das erfolgreiche Prinzip der Panzerwaffe vor
Jürgen W. Schmidt

Es war nicht der erste Kampfeinsatz von Tanks. Bereits während der auslaufenden Sommeschlacht 1916 setzten die Engländer und während der Aisne-Schlacht im Frühjahr 1917 die Franzosen das neue Kampfmittel „Tank“ ein. In beiden Fällen wurde aber nur „gekleckert“ und nicht „geklotzt“, wie der Schöpfer der Taktik der deutschen Panzerwaffe Heinz Guderian feststellte.

Zu Beginn der am 20. November 1917 anlaufenden Cambrai-Schlacht machten die Engländer bezüglich des Tank-Einsatzes jedoch vieles richtig und erzielten deshalb fast den kompletten Durchbruch der tiefgestaffelten deutschen Stellungen, was der Entente seit 1914 nicht gelingen wollte. Die britischen Tanks kamen erstens auf panzergeeignetem Gelände, zweitens massenhaft zu Hunderten und drittens überraschend zum Einsatz. Und dies alles, obwohl die Tanks immer noch ziemlich langsam in Fußgängertempo dahinschlichen. Auch technisch wirkte diese Waffe mit ihren großen Ausmaßen, den geringen Motorressourcen, ihren überdimensionierten und daher verwundbaren Ketten, der relativ dünnen Panzerung und der mangelhaften Bewaffnung verbesserungswürdig.  

Der Angriff am 20. November 1917 setzte auf das Überraschungsmoment. Der Herbst war fortgeschritten. Das Wetter gut, aber sehr dunstig, was die ansonsten effektive deutsche Luftaufklärung stark behinderte. Hinter den englischen Linien boten zahlreiche Dorfruinen und Wälder den Panzern gute Deckung. Die britische Infanterie hatte eifrig geübt, gemeinsam mit den Tanks anzugreifen. Zuerst sollten die Tanks vorrollen, in die deutschen Drahthindernisse Lücken reißen und mit ihrer Bordbewaffnung die gefährlichen deutschen MG-Nester bekämpfen und anschließend die deutschen Grabenbesatzungen in ihren Gräben niederhalten bis zum Eintreffen der britischen Infanterie. 

Jeweils drei vorwärts rollenden Tanks folgte ein Zug Infanterie, um das Feuer der Tanks auf die deutsche Grabenbesatzung für einen relativ verlustarmen eigenen Angriff zu nutzen. Weil die deutschen Gräben mit etwa vier Metern ziemlich breit waren, warf jeder Tank beim Überfahren der Gräben ein Faschinenbündel (zusammengebundenes Reisig) ab, welches zwei Meter Durchmesser hatte und den Tanks das Überklettern der Gräben ermöglichte. Niemals, so behaupteten damals englische hohe Offiziere, „ist eine Truppe mit größerer Siegesgewißheit in den Kampf gezogen“. 

Cambrai beispielgebend für spätere Panzertaktiker

Der Aufmarsch zum Angriff wurde unter größter Geheimhaltung vollzogen, am 20. November 1917 brach schlagartig um 6.20 Uhr das britische Artilleriefeuer los und die Infanterie setzte sich in Bewegung. Die Panzer waren bereits zehn Minuten vorher aus ihrer rund einen Kilometer von den deutschen Linien entfernten Ausgangslinie losgerollt. Der Kommandeur des „Königlich Britischen Tankkorps“, der 37jährige General Hugh Elles, begleitete den Angriff der Panzerarmada auf seinem Tank „Hilda“, auf welchem eine große Kommandoflagge anzeigte, daß hier ein General residierte.

Der Angriff gelang über die Maßen gut: Über das drei Linien umfassende deutsche Stellungssystem hinweg, an welchem sich normale Infanterie selbst bei tagelanger Artillerievorbereitung die Zähne ausgebissen hätte, waren schon am frühen Nachmittag des 20. November alle vorgesehenen Angriffsziele erreicht und der Durchbruch der deutschen Stellungen unter Ausfall von einem knappen Drittel der Tanks nahezu gelungen. 

Doch jetzt begann die Briten das bisherige Kriegsglück radikal zu verlassen. Die Tanks hatten Treibstoff und Munition verbraucht, die britische Infanterie hing weit zurück, und die zur Ausweitung des Einbruchs in der Tiefe bereitgestellte Kavallerie fehlte völlig. Gleichzeitig begannen am zweiten Schlachttag heftige Gegenangriffe eilig herbeigeholter deutscher Reserven. Bis zum 6. Dezember 1917 holten die Deutschen fast alles verlorene Gelände zurück und in der britischen Armee begannen heftige Diskussionen, wer die Verantwortung dafür trug, daß der am 20. November 1917 beinahe erreichte strategische Durchbruch letztlich scheiterte. Besonders in Reichswehr und Roter Armee studierten die Strategen später eifrig die Erfahrungen von Cambrai, um sie während des Zweiten Weltkriegs in großangelegten Durchbruchsoperationen umzusetzen.