© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Knapp daneben
Bestechende Geschäftsidee
Karl Heinzen

Anne Juliane Wirth hatte das Glück, die letzte Septemberwoche in Boston verbringen zu dürfen. Das Wetter war „angenehm warm“, sie konnte sich im Park sonnen, ist jeden Tag 20 Kilometer spaziert. Alles in allem hat ihr die Stadt „supergut“ gefallen. Von ihrem „Studenten-Budget“ hätte sie sich den Trip an die Ostküste der USA nicht leisten können. Dieses mußte sie aber auch gar nicht strapazieren. Die Reise hat ihr Wiener Arbeitgeber, das XING-Tochterunternehmen kununu, bezahlt. Ihre Gegenleistung kostete nur einige Piekser. Seither ziert das kununu-Logo die Innenseite ihres Handgelenks.

Diese innovative Form der Mitarbeiterbindung kommt nicht von ungefähr. Kununu ist ein Portal, auf dem Arbeitgeber bewertet werden, das größte seiner Art in Europa. Die Betreiber sind daher im Guten wie im Schlechten am Puls der Zeit. Sie wissen, wie viele Unternehmen händeringend nach Wegen suchen, um ihre Mitarbeiter zu uniformieren. 

Anstatt Arbeitslose in Fortbildungsmaßnahmen zu pressen, könnte man ihnen diesen Weg weisen.

Manchmal hat dies ganz pragmatische Gründe. Im Einzelhandel signalisiert eine auffällige gleiche Kleidung den Kunden, wen sie – zumindest in der Theorie – um Rat fragen können. Oft soll den Beschäftigten aber auch bloß ein Gemeinschaftsgefühl aufoktroyiert werden, das sie von selbst nicht entwickeln. Wenn sie wieder zu Hause sind, ziehen sie sich rasch um und versuchen, möglichst wenig an ihre Arbeit zu denken. Diese undankbare Flucht in die Freizeit bliebe ihnen verwehrt, wenn man ihnen das Logo ihres Unternehmens gut sichtbar irgendwohin tätowierte. Damit würden sie nicht nur für potentielle Kunden zum Blickfang. Auch der Personalgewinnung böten sie eine wertvolle Unterstützung in ihrem immer härter werdenden Ringen um Nachwuchskräfte. 

Sich das Logo eines Unternehmens zu stechen, muß aber nicht nur dessen Arbeiternehmern vorbehalten sein. Man könnte daraus auch eine Geschäfts­idee entwickeln. Den eigenen Körper als Werbefläche zu vermarkten, erfordert nur wenige kaufmännische Kenntnisse. Warum werden Langzeitarbeitslose in so aufwendige wie nutzlose Fortbildungsmaßnahmen gepreßt, statt ihnen diesen Weg in die Selbständigkeit zu weisen?