© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Lautloses Einsickern
Eine Synthese aus Fortschrittsideologie und fremder Religionsausübung codiert unsere Lebenswelten um
Thorsten Hinz

Die Firma Mattel präsentiert neuerdings eine Barbie-Puppe mit einem Hijab. Sie ist der US-Fechterin Ibtihaj Muhammad nachempfunden, die bei den Olympischen Sommerspielen 2016 mit dem islamischen Kopftuch antrat. „Ibtihaj inspiriert Mädchen und Frauen allerorten dazu, sich über Grenzen hinwegzusetzen“, teilte der Hersteller mit. Die neue Barbie solle demonstrieren, „daß Mädchen alles können“. Die Formulierung gibt ein Beispiel, wie geschäftliche Interessen und linker Emanzipationsjargon sich nahtlos miteinander verbinden und dieser sich beliebig auf archaische Kulturtechniken übertragen läßt. Mit der Synthese aus Kommerz, Fortschrittsideologie und vorsäkularer Religionsausübung entsteht eine Gegenkraft, welche die westlichen Gesellschaften und Lebenswelten von innen durchdringt und verändert. Denn vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung drängt die Frage sich auf, in welche Richtung die Grenzen sich verschieben beziehungsweise überwunden werden, wenn Fetische der westlichen Massenkultur durch islamische Beifügungen umcodiert werden.

Die Beispiele dafür mehren sich. Seit Juni können Smartphone-Nutzer aus 69 neuen Emojis wählen, darunter ein Icon mit Kopftuch, das von einer 16jährigen Schülerin aus Wien, die aus Saudi-Arabien stammt, kreiert wurde. Das Time Magazine wählte sie unter die 30 einflußreichsten Teenager der Welt – zusammen mit einem Nachwuchs-Model und dem Sohn eines Hollywood-Stars. Zu den „Frauen des Jahres 2017“, die das amerikanische Glamour-Magazin erkor, zählt die kopftuchtragende Muslima Linda Sarsour (siehe Seite 3), die per Twitter forderte, Islam-Kritikerinnen wie Ayaan Hirsi Ali „den Hintern zu versohlen“ und „die Vagina wegzunehmen“ – und zum Entzücken der Linken und Liberalen eine Trump-Gegnerin ist.

Die britische Supermarktkette Tesco inszeniert in einem Werbespot eine multireligiöse Harmonie, indem sie weihnachtliches Ambiente mit Kopftuch-Frauen verbindet. Die Computerfirma Apple setzt sich in einem Werbefilmchen für „Vielfalt“ und „Inklusion“ ein und eröffnet den Vorstellungsreigen ihrer Mitarbeiter demonstrativ mit einer jungen Kopftuch-Dame. Diese Bildsequenzen, die millionenfach konsumiert werden, sollen das Publikum unterschwellig davon überzeugen, wie selbstverständlich, ja organisch der Islam zu Deutschland, zu Europa, zum abendländischen Westen inzwischen gehöre.

Das sind nicht nur Weichzeichnungen der Wirklichkeit, es sind manipulative Scheinwelten. Dahinter stecken zunächst ganz profane Geldinteressen. Zur Mobilisierung neuer Käuferschichten zitiert und profaniert die Werbeindustrie auch christlich-abendländische Symbole und Traditionen. Aus Gründen der Pietät mag man das bedauern, doch politisch ist es unproblematisch, weil die Kommunikation auf der Grundlage eines säkularen Selbstverständnisses stattfindet. Die Annahme, in gleicher Weise die Elemente und Symbole der islamischen Religion in das Zeichensystem des Alltags und der Massenkultur integrieren zu können, ist dagegen ein sträflicher Irrtum, weil diese einen politischen und gesellschaftlichen Machtanspruch symbolisieren. Man bietet ihm die Gelegenheit, sich im öffentlichen Raum zu präsentieren und auszubreiten. In hiesigen Medien werden Hijab, Niqab und Burka mit dem Kopftuch einer Oma vom Lande oder der Queen verglichen und sogar als Zeichen weiblichen Selbstbewußtseins und der Emanzipation dargestellt. Der Islam-Kenner Hamed Abdel-Samad schrieb dazu auf Facebook: „Die Fahne des politischen Islam und des Patriarchats auf dem Kopf eines Kindes als Zeichen von Toleranz, Selbstbestimmung und Diversität zu verstehen ist der Tiefpunkt einer gescheiterten Integration und einer Gesellschaft, die nicht mehr weiß, wo sie steht!“

Wie weit dieser „Geistschwund im Fortschritt“ (Hans-Peter Raddatz) bereits gediehen ist, zeigt ein Kommentar des Welt-Autors Alan Posener, der mit dem Foto eines Hijab-Mädchens garniert ist. Posener behauptete pauschal, Deutschland sei „durch die Einbindung in den internationalen Kapitalismus, durch Wandlung zum Einwanderungsland weltoffener, freundlicher, moderner und wettbewerbsfähiger geworden“. Nur Tage später klagte derselbe Autor über einen „arabischen Rassismus auf deutschem Boden“, weil die kuwaitische Fluglinie, die vom Flughafen Frankfurt abhebt, israelische Staatsbürger vom Transport ausschließt und ein deutsches Gericht das für gesetzeskonform hält. Eine kohärente Denkweise kann man solchen Verkündern der Weltoffenheit wahrlich nicht nachsagen.

Wir behaupten, in einer Wissensgesellschaft zu leben. Die Spezialisierung des Wissens aber geht mit einem Kenntnisverlust der eigenen kulturellen Grundlagen einher. Nur zu gern sind die Menschen deshalb bereit, sich die Illusion einer interkulturellen und -religiösen Wertegemeinschaft zu eigen zu machen.

Der ausbleibende Widerspruch gegen die forcierte Präsentation des Hijab hat unterschiedliche Motive, sie reichen von Autosuggestion bis zum doktrinären Zwang. Der Feminismus hat sich zu Tode gesiegt, doch die Natur rächt sich. Die Aufhebung der Geschlechterrollen führt zu neuen Frustrationen, die das Patriarchat, das unter islamischem Vorzeichen zurückkehrt, klammheimlich rehabilitieren. Für den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sind jene Feministinnen, die trotzdem gegen den Hijab protestieren, eine zu vernachlässigende Größe. Seine „härtesten Gegner sind diejenigen, die auf Basis des Islamhasses eine andere Republik schaffen wollen“. Mazyek kann sich darauf verlassen, daß die naheliegende Frage, ob auf islamischer Basis irgendwo eine „Res Publica“ existiert, die diesen Namen verdient, vom „Geistschwund des Fortschritts“ blockiert wird.