© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Um die Selbstbehauptung kämpfen
Nationale Minderheiten: Eine Initiative von Sorben und Wenden fordert ein eigenes Parlament für ihre Volksgruppe
Paul Leonhard

Die Sorben und Wenden, jenes in der Lausitz seit Jahrhunderten ansässige slawische Volk, befinden sich in einer „existentiellen Krise“ und können nur durch eine „nationale Wiedergeburt“ gerettet werden. Dieser Überzeugung sind Martin Walde und Hannes Wilhelm-Kell beziehungsweise Mercin Walda und Hanzo Wylem-Kell, die an der Spitze einer Initiativgruppe „Serbski Sejm“ stehen.

„Wenn es um das Sein oder Nichtsein geht, muß man sich neue Ansätze überlegen“, so Walde. Man wolle bei den Landtagen Sachsens und Brandenburgs „die Einleitung und Durchführung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine demokratisch legitimierte Volksvertretung der Sorben/Wenden“ durchsetzen, heißt es in der Petition mit dem Titel „Selbstbestimmung jetzt!“

Die in Sachsen und Brandenburg lebende slawische Minderheit wird auf 60.000 Personen geschätzt. Immer weniger von diesen beherrschen ihre Muttersprache. Angesichts der sinkenden Zahl von Sorbischsprechern müsse die Sprache mehr gefördert werden, war das Fazit eines Bildungsgipfels der Initiative Serbski Sejm in Bautzen. Die Funktionsfähigkeit sorbischer Bildungsinstitutionen sei nicht gewährleistet, heißt es in der Analyse zur obersorbischen Schul-, Schüler- und Lehrerentwicklung der letzten Jahre und zur derzeitigen prekären Perspektive.

Als Vorbild die deutsche        Gemeinschaft in Belgien

In mehr als der Hälfte des Siedlungsgebietes gebe es heute kein zweisprachiges Unterrichtsangebot mehr. Nötig sei daher ein „gesamtgesellschaftlicher Pakt“ zum langfristigen Erhalt der sorbischen/wendischen Sprache, die Gründung einer Sprachschule für Obersorbisch, ein Sofortprogramm zur Lehrerqualifizierung, ein Bildungsfonds zur Finanzierung von Schülertransporten sowie Studentenstipendien in slawischen Nachbarstaaten sowie bei anderen Minderheiten, außerdem die Gründung einer Hochschule in Bautzen und Cottbus, den beiden Zentren der Sorben und Wenden. Letztendlich fordert die Initiative Bildungs- und Kulturautonomie.

All das umzusetzen, trauen Walde und Wilhelm-Kell der traditionellen Vertretung der Minderheit, dem Bund Lausitzer Sorben (Domowina), nicht zu. Diese sei in erster Linie ein „Dachverband der Tanzgruppen“, spottet der Dresdner Andreas Kluge, der als einer der führenden Sejm-Köpfe gilt. Die Domowina sei nicht demokratisch legitimiert, ihre Mitarbeiter bezahlte „Berufssorben“, und es gebe „Defizite an Lösungskompetenz und Erneuerungsfähigkeit“. Der „aus DDR-Zeiten herrührende Alleinvertretungsanspruch des Domowina-Vereins“ sei für die Interessen der slawischen Minderheit schädlich, betont Walde.

Das seien „haltlose Unterstellungen“, widerspricht Domowina-Vorsitzender David (beziehungsweise Dawid) Statnik und wirft der Initiative „hemmungslose Konfrontation und aggressive Negierung bestehender Strukturen“ vor. Der Bund Lausitzer Sorben sei schon wegen der Gesetze in Sachsen und Brandenburg „die“ Interessenvertretung der Sorben.

Da auch die seit 2011 existierende Initiative Serbski Sejm ein Legitimationsproblem hat – lediglich etwas mehr als 800 Personen haben bisher die Petition für ein sorbisches Parlament unterzeichnet –, wird jetzt mobilisiert. Überall in der Ober-, Mittel- und Niederlausitz werden Regionalforen organisiert, auf denen das Vorhaben vorgestellt, diskutiert und geeignete Bewerber vorgeschlagen werden sollen. Noch im Dezember soll der im März gebildete „Rada Starostow“, der Ältestenrat, die Wahlordnung beschließen, damit 2018 per Briefwahl ein Vorparlament als Instrument „für unsere politische Selbstbestimmung“ gebildet werden kann und die Sorben/Wenden nach dem Motto „Vielfalt nach innen, Einheit nach außen“ mit einer Stimme sprechen, heißt es in dem Sieben-Punkte-Plan der Initiative. Wahlberechtigt für den Serbski Sejm sollen alle volljährigen Deutschen sein, die sich zum sorbisch/wendischen Volk bekennen.

Die Initiativgruppe beabsichtigt, die „erworbenen kulturellen, sprachlichen sowie materiellen Güter der Vorfahren zu erhalten und zukunftssicher auszubauen“. Vorbild ist dabei die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien, der 76.000 Menschen angehören und deren Parlament über einen Jahresetat von 350 Millionen Euro verfügt. Wie die Deutschen in Belgien wünschen sich die Mitglieder der Initiativgruppe eigene Ministerien für Kultur, Bildung, Arbeit, Soziales sowie eine eigene Hochschule für Lehrer, Erzieher und Pfleger. Auch daß die 125.000 Einwohner der Autonomieregion Aostatal (deutsch Augsttal) in Italien 90 Prozent des lokalen Steueraufkommens selbstverwaltet einsetzen können, gefällt der Initiativgruppe, die im nächsten Satz ihres Papiers prompt nach Zuwendungen ruft: „Unterstützen Sie den Prozeß zum Serbski Sejm mit Ihrer Spende!“