© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

„Eine Tortur erspart geblieben“
Die AfD nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen: Die drittgrößte Fraktion im Bundestag könnte von Neuwahlen profitieren / Organisatorische Herausforderung
Christian Vollradt

Die AfD begrüßt, daß es nicht zur Jamaika-Koalition kommt. „Frau Merkel ist gescheitert, und es wird Zeit, daß sie als Bundeskanzlerin geht“, bekannte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, gleich am Montag. Co-Fraktionschefin Alice Weidel sprach von „wochenlanger Wählertäuschung“: Von Anfang an seien die Positionen der Beteiligten viel zu unterschiedlich gewesen. „Wir sehen auch hier, daß die AfD wirkt.“ Gauland bewertete die jüngsten Aussagen von FDP-Chef Lindner zur Flüchtlingspolitik als „dicht an den Kritikpunkten der AfD“. Aber „wir sind das Original“, stellte er klar.

Parteichef Jörg Meuthen meint im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT, die verbreitete Hoffnung auf Neuwahlen ändere bei näherem Hinsehen nicht das derzeitige Problem. In Sachen Mehrheitsbildung werde sich nicht viel tun, ist er überzeugt. „Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün werden auch danach keine Mehrheit haben, ebensowenig Rot-Rot-Grün. Bliebe allenfalls die Große Koalition; und die könnte es auch ohne Neuwahl schon geben“, ist Meuthen überzeugt. „Unserem Land ist damit wenig genützt, dies wird bei aller Zustimmung zur Neuwahl derzeit übersehen“, zeigt sich der AfD-Chef nachdenklich. Für seine Partei dagegen bewertet er die Chancen bei einer Neuwahl durchaus positiv. Mit dieser Einschätzung steht Meuthen nicht allein: 45,1 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage im Auftrag des Tagesspiegels überzeugt, daß die AfD als Gewinner aus dem Jamaika-Aus hervorgeht. 

Mit einem so kurzen Vorlauf erneut einen Wahlkampf zu stemmen, sei zwar für die AfD eine organisatorische und finanzielle Herausforderung, ist sich der Vorsitzende bewußt. „Eine heftige Herausforderung, die wir aber schaffen werden.“ Schon jetzt hat sich die Partei an ihre Mitglieder und Förderer mit der Bitte um Spenden gewandt. Die AfD habe für dieses Jahr einen theoretischen Anspruch auf über zwölf Millionen Euro aus der Parteienfinanzierung. „Weil wir das Geld aber nur in der Höhe bekommen, in der wir selber auch eigene Einnahmen – zum Beispiel durch Spenden oder Beiträge – erzielen, geht uns derzeit ein hoher Betrag von mehreren Millionen Euro verloren. Dieses Geld aus dem Budget der Parteienfinanzierung, das die AfD nicht bekomme, bekämen dann die anderen Parteien, appellierte der Bundesvorstand in einer Mail an die Basis. 

„Wir durchleben gerade eine Zwischenphase“, stellt Meuthen fest. Der Wandel, der sich politisch vollziehe, sei oben noch nicht angekommen. Solange die AfD stigmatisiert werde, könne das bürgerliche Lager keine Regierung bilden, obwohl es rechnerisch im Bundestag über eine Mehrheit verfügt. Für seine eigene Partei bedeutet dies laut Meuthen, daß sie ein ernstzunehmender Gesprächspartner werden muß: „Wenn man die Zukunft unseres Landes im Blick hat, wäre ein fundamentalistischer Kurs aussichtslos.“

Bundestagsfraktionsvize Leif-Erik Holm findet es „bezeichnend, daß Merkel in den Sondierungsgesprächen vor allem auf die Grünen zugegangen ist“. Er frage sich, warum die CDU an den Gesprächen überhaupt teilgenommen habe. „Inhaltlich fand sie dort gar nicht mehr statt. Eine solch zerstrittene Regierung, die sich nur auf faule Minikompromisse einigen kann, wäre eine Tortur für Deutschland gewesen“, sagte Holm der jungen freiheit. „Es wäre gut für unser Land, wenn sich jetzt alle wie Erwachsene verhielten.“ Der AfD-Vorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern fordert die SPD auf, sie solle „aus ihrer Schmollecke herauskommen und Merkel den Weg freimachen, damit unbelastete Gespräche zwischen Schwarz und Rot möglich sind“.