© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Das Fanal der Nullzinsen
Kapitalvernichtung
Thorsten Polleit

Für Sparer ist der anhaltende Nullzins eine Katastrophe. Allerdings eine, deren Ausmaß sie erst nach vielen Jahren trifft. Um das zu zeigen, hier ein kleines Rechenbeispiel: Wenn Sie in den kommenden 25 Jahren jeden Monat 50 Euro bei einem Jahreszins von fünf Prozent anlegen, haben Sie am Ende fast 29.500 Euro. Wenn der Zins null ist, ist Ihr Endbetrag 15.000 Euro – also nur halb so groß! Dahinter verbirgt sich die Macht des Zins und Zinseszinses. Ohne hinreichende Verzinsung müssen die Deutschen entweder heute weniger konsumieren und mehr sparen – oder künftig schmerzliche Wohlstands­einbußen hinnehmen.

Die Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) trifft die Sparer überall: In der Lebensversicherung, in Renten- und Geldmarktfonds, in betrieblichen Pensionskassen. Auch die Ersparnisse, die in die Hände von Versorgungskassen und Stiftungen gelegt wurden, sind betroffen. Mittlerweile spürt es auch die gesetzliche Rentenversicherung: Derzeit beläuft sich ihr Überschuß auf 33 Milliarden. Allein im laufenden Jahr kostet der Negativzins die Kasse 10, im kommenden Jahr 50 Millionen Euro. Die Leidtragenden: die künftigen Rentenempfänger.

Doch damit nicht genug. Die EZB treibt mit den von ihr künstlich herabgedrückten Zinsen eine konjunkturelle Scheinblüte in Europa an, vor allem in Deutschland. Über kurze Zeit sorgt das für steigende Produktion und Beschäftigung. Die geringen Kreditkosten sorgen jedoch dabei für Kapitalfehllenkung auf breiter Front. Die Ernüchterung ist vorprogrammiert: Aus dem künstlichen „Boom“ wird früher oder später ein „Bust“ – der Kapital, Arbeitsplätze und Einkommen zerstört. Die Nullzinspolitik der EZB ist – man kann es nicht anders sagen – nationalökonomisches Zerstörungswerk. 

Zwar hat niemand ein „Recht auf Verzinsung“. Der Zins ist vielmehr eine Größe, die sich im freien Markt bildet – er kann mal hoch sein, oder auch niedrig. Doch die EZB sorgt mittlerweile dafür, daß es keinen freien Zinsmarkt mehr gibt. Vor allem auch mit ihren Anleihekäufen manipuliert sie den Marktzins auf ein wahrlich „unnatürliches Niveau“ – eines, das sich ohne das Eingreifen der EZB in das Kapitalgeschehen ganz bestimmt nicht einstellen würde.

Die EZB betreibt mit ihrer Null- und Negativzinspolitik, einhergehend mit dem Monetisieren von Staatsschulden, im Kern eine Umverteilungspolitik, durch die vor allem auch Einkommen und Vermögen über die nationalstaatlichen Grenzen in Europa neu geordnet werden. Für Altersvorsorgen, die auf zinstragende Papiere aufbauen, ist die EZB-Politik ein Fanal. Sie ist auch ruinös für Betriebe in Ländern, in denen die Wirtschaftslage noch relativ gut ist. Es ist keine Frage ob, sondern wann die Schäden in Erscheinung treten.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.