© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

So kann der Euro noch gerettet werden
Drei Wirtschaftsexperten mahnen die Rückbesinnung auf striktere fiskalische Regeln an
Erich Weede

Nicolaus Heinen leitet die Global Intelligence Services bei Linde, Jan Mallien ist geldpolitischer Korrespondent des Handelsblatts und Florian Toncar ein auf Bankenaufsicht spezialisierter Rechtsanwalt. Keiner der drei Leute ist älter als 40 Jahre. Als überzeugte Europäer stellen sie sich die Frage, wie man den Euro noch retten könnte. 

Ihr Buch besteht aus acht Kapiteln, wobei die ersten drei recht unkontrovers sein dürften. Dort wird die Entstehungsgeschichte des Euro, die Notwendigkeit und der Verlauf der Eurorettung unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der EZB dargestellt. Für die Autoren ist klar, daß die EZB zu „indirekter monetärer Staatsfinanzierung“ übergegangen ist, um den Euro oder ein Großeuroland, dem auch Griechenland angehören kann, zu retten, obwohl die Verträge die monetäre Staatsfinanzierung verboten und keinen gegenseitigen Beistand der Mitgliedsländer vorsahen. 

Die Autoren sehen nicht, daß die Regierungen die von der EZB und anderen Rettungsmaßnahmen gekaufte Zeit für die notwendigen Reformen genutzt haben. Nach ihrer Auffassung implizieren die Nebenwirkungen der Nullzinspolitik eine Beseitigung der Signalfunktion des Kreditpreises und damit eine Verzerrung der Investitionstätigkeit, die weder Wachstum noch Beschäftigung beflügelt. Ein „Weiter so“ birgt die Gefahr des Scheiterns des Euro in sich. Der Rezensent ist weitgehend derselben Auffassung wie die Autoren, man sollte aber darauf hinweisen, daß recht viele Makroökonomen Keynes näher als Hayek stehen und sich viel weniger Sorgen als die Autoren um die Schuldenberge fast aller westlichen Demokratien machen. Diese makroökonomischen Grundfragen werden hier konsequent ausgeklammert. 

Das Zeitalter nationaler Währungen sei vorbei

Im vierten Kapitel geben die Autoren im Zeitalter der Globalisierung nationalen Währungen keine Chance mehr, halten alternative Geldordnungen (etwa Vollgeld) für „Luftschlösser“, lehnen auch den Ausbau Europas zur Transfer-union als Weg zum Niedergang Europas ab. Sie wollen die Währungsunion krisenfest machen. Deshalb fordern sie eine Wiederbelebung der Eigenverantwortung, des Nichtbeistandsgebots und des Verbots der Staatsfinanzierung durch die Zentralbank. 

Ab dem fünften Kapitel findet man deshalb eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen, wie man den Euro stabilisieren könnte. Dabei beanspruchen die Autoren, sich durch die Frage der raschen politischen Durchsetzbarkeit nicht vom Aufzeigen von Notwendigkeiten ablenken zu lassen. Beispiele für ihre Vorschläge sind mehr Transparenz und Rechenschaftspflichten für die EZB (ähnlich wie bei der Bank of England), Entlastung der EZB von der Bankenaufsicht, Professionalisierung der EZB auch durch Rekrutierung von Fachleuten aus Nicht-EU-Ländern – wie es Briten und US-Amerikaner sogar an der Spitze ihrer Zentralbanken schon einmal gemacht haben. Von nationaler Stimmgewichtung im EZB-Rat halten die Autoren nichts, von einem weicheren Inflationsziel auch nichts. In mehr Zentralismus sehen sie die Gefahr der Potenzierung von Fehlentscheidungen. Für besonders wichtig halten sie es, Staatsanleihen nicht länger dadurch zu privilegieren, daß die Banken diese nicht mit Eigenkapital hinterlegen müssen. Der gegenwärtige Zustand fördert nur gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Banken und Staaten und daraus resultierende Gefahren. 

Sie fordern auch Obergrenzen dafür, wie viele Anleihen des eigenen Staates Banken relativ zum Eigenkapital halten dürfen. Mit Sachkenntnis und Liebe zum Detail wird die Bankenregulierung besprochen. Allgemein verständlich und gleichzeitig von besonderer Bedeutung ist dabei etwa der Hinweis, daß die bestehenden Einlagensicherungssysteme schlechter aufgestellten Banken mehr als besser geführten nutzen, was man als Hinweis auf Regulierungsversagen nehmen kann. 

Naive Hoffnung, daß alle Euroländer Regeln einhalten

In Anbetracht der Komplexität des Themas und der vielen Regulierungsdetails ist das Buch gut lesbar. Es wäre zu wünschen, daß die Politik die Vorschläge prüft und viele davon aufgreift und umsetzt. Allerdings steht zu befürchten, daß selbst die vollständige Umsetzung aller Vorschläge der Autoren nicht ausreichen würde, um den Euro zukunftsfest zu machen. Die Autoren weichen der Frage aus, ob eine überlebensfähige Eurozone nicht kleiner werden müßte, beispielsweise entweder Deutschland oder Griechenland ausscheiden. 

Sie sehen zwar, daß Vereinbarungen und Rechtsvorschriften bisher gerade bei den wichtigsten Fragen nicht respektiert worden sind, wollen deshalb Vorschriften so fassen, daß die Anreize zur Einhaltung stärker werden. Aber kann man in Anbetracht heterogener Präferenzen in verschiedenen Ländern und der Erfahrung mancher Euroländer, daß Lasten erfolgreich auf andere abgewälzt werden können, überhaupt die Regeln so formulieren, daß fast alle (oder besser noch alle) sie wenigstens meistens einhalten wollen? Die Autoren scheinen das zu hoffen, obwohl diese Aussicht doch eher unwahrscheinlich sein dürfte.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie in den Universitäten Köln und Bonn. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

Nicolaus Heinen, Jan Mallien, Florian Toncar: Alles auf Anfang. Warum der Euro scheitert – und wie ein Neustart gelingt. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017, gebunden, 235 Seiten, 24,95 Euro