© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

„Im Vordergrund steht, was uns eint“
Opposition im Bundestag, Wahrung des Parteifriedens, mögliche Reorganisation der Führungsspitze. Wird der Bundesparteitag diesen Herausforderungen gerecht? Fragen an AfD-Parteichef Jörg Meuthen, der sich in Hannover bewähren muß
Moritz Schwarz

Herr Professor Meuthen, wäre „Jamaika“ für die AfD am vorteilhaftesten gewesen? 

Jörg Meuthen: Die Frage ist, was ist am besten für unser Land. Wir sind froh, daß „Jamaika“ ihm erspart bleibt.  

Wie geht die Regierungskrise aus?

Meuthen: Mit einer Großen Koalition.

Was für die AfD bedeutet?

Meuthen: Unsere Fraktion wäre Oppositionsführer im Bundestag und könnte sich noch mehr Gehör verschaffen.   

Sie rechnen nicht mit Neuwahlen? 

Meuthen: Nein, weil Union und SPD erkennen werden, daß sie nichts wesentlich ändern würden, außer uns eventuell zu stärken und es danach vielleicht nicht einmal mehr für eine GroKo reicht.

Am Wochenende will die AfD ihre Führungsmannschaft neu bestimmen. Es hätte der erste „ruhige“ Parteitag seit langem werden können. Ihre Absicht, zusätzlich zu Ihrem Landtagsmandat den AfD-Sitz im Europoparlament zu übernehmen, hat jedoch für Verärgerung gesorgt.

Meuthen: Für Verärgerung habe nicht ich, sondern allerlei Falschmeldungen der Medien gesorgt. Bis dahin hatte ich es abgelehnt, von „Lügenpresse“ zu sprechen. Hier aber erscheint es berechtigt. 

Warum?

Meuthen: Die Medien haben mich etwa der Ämterhäufung und des „Parlamentstourismus“ bezichtigt. Das war pure Verleumdung! 

Immerhin haben Sie als Landtagsabgeordneter mit der Übernahme des Sitzes im EU-Parlament ein Doppelmandat inne. 

Meuthen: Jetzt fangen Sie auch noch damit an! Diese Darstellung stimmt so nicht, denn es ging nie darum, dauerhaft zwei Mandate innezuhaben – das wäre ein Doppelmandat! Sondern um eine geordnete Übergabe meines Landtagssitzes bei Antritt des Mandats in Brüssel. Natürlich war klar, daß das zu einer wenige Wochen dauernden Überschneidung führen würde. Daraus dann aber ein „Doppelmandat“ zu konstruieren ist böswillig. 

Haben Sie dem nicht selbst Nahrung gegeben, indem Sie auf Nachfrage der Presse keinen Zeitpunkt nennen wollten, zu dem Sie Ihr Landtagsmandat beenden?  

Meuthen: Nein, denn ich hatte ja klar artikuliert, daß ich das Landtagsmandat nicht auf Dauer behalten würde.

Warum haben Sie keinen Zeitpunkt genannt? 

Meuthen: Weil ich bis dato noch nicht absehen konnte, wie lange ein geordneter Übergang dauern würde. Hätte ich es getan und den Zeitpunkt nicht einhalten können, was wäre dann erst losgewesen! Übrigens sind aus dem Stuttgarter Landtag schon mehrere Abgeordnete anderer Parteien in andere Parlamente gewechselt. Hat man ihnen „Parlamentstourismus“ vorgeworfen? Nein! Mir aber. Das zeigt, worum es tatsächlich geht: mich maximal zu beschädigen.

Zwei Wochen später nannten Sie den 31. Dezember als Termin für die Niederlegung. Warum war das plötzlich möglich? 

Meuthen: Weil die Sache bis dahin rund war, die Nachfolge geregelt und ich den Zeitpunkt bis zur Übergabe nun übersehen konnte. Ich habe als Mandatar doch eine Verantwortung und dieser werde ich gerecht.

Es gibt dennoch mehrere AfD-Abgeordnete, die Doppelmandate innehaben. Ist das nicht – für eine Partei, die sich auf die Fahne geschrieben hat, die Interessen der Bürger gegenüber abgehobenen politischen Eliten zu vertreten – höchst problematisch?

Meuthen: Ohne Einzelfälle bewerten zu wollen, halte ich Doppelmandate über einen Übergangszeitraum hinaus in der Tat für problematisch. Ich habe für mich entschieden, daß ich meine Pflichten als Europaabgeordneter nicht mit meiner Landtagstätigkeit vereinbaren kann und mich deshalb zur Niederlegung des letzteren entschlossen.      

Von Anfang an oder erst unter dem Eindruck der Kritik?

Meuthen: Ich habe doch von Beginn an gesagt, daß es sich um einen begrenzten Übergangszeitraum handelt.

Nun wird es auf dem Parteitag einen Antrag geben, Doppelmandate auf neunzig Tage zu begrenzen. Wird er Erfolg haben? 

Meuthen: Ich hoffe, denn ich finde ihn richtig und werde ihn unterstützen.

Ursprung der Probleme ist Ihr Wechsel nach Brüssel. Hatten Sie Ihren Landtagswählern nicht versprochen, Oppositionsarbeit in Baden-Württemberg zu machen? 

Meuthen: Ich hatte gesagt, ich würde nicht von Stuttgart nach Berlin gehen, und daran habe ich mich gehalten. Was nun Brüssel angeht, so bin ich schon lange vor der Landtagswahl 2016, nämlich bei der Europawahl 2014 auf einen Nachrückerplatz für das Europaparlament gewählt worden. Zunächst gab es dafür aber keinen Bedarf. Anders jetzt, da Beatrix von Storch ihr Europa- zugunsten ihres Bundestagsmandats aufgegeben hat. Zudem ist nach dem Zerfall unserer Fraktion in Brüssel – was ja Anfang 2016 auch nicht absehbar war – erneute Aufbauarbeit im Europäischen Parlament nötig, ja sogar wichtiger als die Arbeit im Stuttgarter Landtag, weil diese auch konstruktiv von anderen fortgeführt werden kann. Und noch eine Anmerkung: Für mich persönlich wäre es viel angenehmer, in Stuttgart zu bleiben. Aber ich stelle mich der Aufgabe.  

Ihre Kritiker sagen, Sie gehen, weil Sie in der Stuttgarter Fraktion gescheitert sind.  

Meuthen: Wie Sie wissen, haben wir im Sommer 2016 in der Tat kurz vor dem Scheitern gestanden und konnten nur knapp die Fraktion retten. Wäre ich damals gegangen – ja, dann hätte ich den Vorwurf verstanden. Heute aber kann ich ihn nicht nachvollziehen.

Wird nach Ihrem Weggang der Abgeordnete Wolfgang Gedeon, dem Sie Antisemitismus vorgeworfen haben, in die Stuttgarter AfD-Fraktion zurückkehren? 

Meuthen: Da sehe ich keine Gefahr.

Die Fraktion hat ihren Arbeitskreis Europa für Gedeon geöffnet.

Meuthen: Das ist in der Sache nicht dramatisch, denn der Arbeitskreis steht für alle Landtagsabgeordneten offen. 

Manche sehen darin ein Manöver, um Gedeon in die Fraktion zurückzuholen. 

Meuthen: Das geht nur mit Zweidrittel-Mehrheit, und die gibt es nicht. 

Auf dem Parteitag wird es einen Antrag Gedeons zum Thema „Antisemitismus“ geben, unterschrieben von vier Mitgliedern Ihrer Landtagsfraktion.  

Meuthen: Es ist typisch für unsere Partei, daß wir in der Sache arbeiten. Wenn jemand einen Antrag richtig findet, unterstützt er ihn, gleich wer das noch tut. 

Sehen Sie den Wechsel nach Brüssel als Ihr Sprungbrett nach Berlin 2021?

Meuthen: Was in vier Jahren ist, darüber zerbreche ich mir heute nicht den Kopf. Jetzt geht es darum, mit Blick auf die Europawahl 2019 eine starke AfD-Vertretung in Brüssel zu entwickeln.

Der Wähler blickt allerdings kaum nach Brüssel. Ist es nicht ein Fehler, wenn der Parteichef sich auf einer Bühne präsentiert, die kaum heimisches Publikum hat?

Meuthen: Im Gegenteil, ich sehe da sogar Vorteile für meine Tätigkeit als Parteisprecher. Denn ich werde durch das Brüsseler Mandat wesentlich mehr Freiheit haben, mich als Parteichef in die Bundespolitik einzubringen. 

Bernd Lucke, heißt es, habe den Fehler gemacht, als Europaabgeordneter so weit von der Partei entfernt gewesen zu sein, daß er als Parteivorsitzender die Kontrolle verloren hat. Wiederholen Sie diesen Fehler? 

Meuthen: Nein, denn Lucke hatte sich allein auf die Arbeit in Brüssel konzentriert, er ist ja sogar privat dorthin umgezogen. Das werde ich anders machen. 

Lucke hatte auch darauf gedrungen, die Parteiführung nur noch einem Bundessprecher zu übertragen. Erfolgt nun auf dem Parteitag dieser Wechsel vom Führungsmodell der Doppelspitze hin zu nur noch einem Vorsitzenden?

Meuthen: Obwohl es einen Antrag in diese Richtung gibt, glaube ich das nicht. Denn dafür braucht es eine Satzungsänderung, und für die eine Zweidrittel-Mehrheit. Diese halte ich für eher unwahrscheinlich.

In fast allen Ländern hat die AfD inzwischen eine Einzelspitze. Warum nicht auch die Bundespartei? 

Meuthen: Das habe nicht ich zu entscheiden, sondern allein der Parteitag. Wünscht dieser das, stehe ich ebenso zur Verfügung wie für eine Doppelspitze. 

Bisher hat die Doppelspitze – Lucke/Petry, Petry/Meuthen – nur Ärger gebracht. 

Meuthen: Diese Gefahr besteht und wäre bei einer Einerspitze ausgeschlossen. Allerdings lautet die Kritik an letzterer, daß sie einer Person zuviel Macht gibt. Den Einwand kann ich verstehen.

Warum plädiert Alexander Gauland für die Doppelspitze? Er hat doch selbst leidvoll erfahren, wohin sie geführt hat. 

Meuthen: Er hat aber auch gute Erfahrungen damit. Er und Alice Weidel harmonieren erkennbar in der gemeinsamen Wahrnehmung der Spitze der Bundestagsfraktion. Es gibt eben beides.   

Wer könnte das neben Ihnen künftig sein?

Meuthen: Das entscheidet der Parteitag. 

Aber zu Ihnen muß die Person doch passen, sonst erlebt die Partei einen erneuten Machtkampf. Wer wäre also Ihre Wahl? 

Meuthen: Ich habe wie jeder Delegierte eine Stimme. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen keine Namen nennen werde.

Alice Weidel hat offiziell abgesagt, laut „Bild“-Zeitung könnte Sie aber doch kandidieren. Gauland hat den Schweriner Landeschef Leif-Erik Holm vorgeschlagen. 

Meuthen: Auch auf diesem Weg entlocken Sie mir nicht mehr. Ich werde öffentlich niemanden protegieren noch diskriminieren. Bei uns wird demokratisch entschieden. Auch über meine Kandidatur entscheidet allein der Parteitag.

Droht der Partei künftig eine Konkurrenz zwischen Parteiführung und Fraktion? 

Meuthen: Nein, denn beide wollen das Projekt AfD voranbringen. Dazu müssen Partei und Fraktion Hand in Hand arbeiten – und das werden wir tun.

Aber droht die Parteiführung nicht gegenüber der Fraktion ins Hintertreffen zu geraten? Schließlich steht künftig letztere im Brennpunkt des Geschehens.

Meuthen: Das stimmt, und es ist völlig normal, daß die Aufmerksamkeit für die Fraktion die Aufmerksamkeit für die Parteiführung mindert. Aber es geht hier nicht um persönliche Ambitionen, sondern um den Erfolg der Sache. 

Werden auf dem Parteitag vor allem Fraktionsmitglieder in den neuen Bundesvorstand gewählt und diesen also dominieren? 

Meuthen: Einerseits sollten auch Fraktionsmitglieder dort sitzen, damit eine Verzahnung im Sinne einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Parteispitze und Fraktion gegeben ist. Andererseits darf der Bundesvorstand aber natürlich nicht zur Unterabteilung der Fraktion werden. Ich plädiere für eine ausgewogene Besetzung als beste Lösung.

Kandidiert Björn Höcke für den Vorstand?

Meuthen: Ich weiß es nicht.  

Sie gelten als sein Freund und Verbündeter, unterstützen Sie ihn, falls er kandidiert?   

Meuthen: Ich habe in der Partei viele politische Freunde, würde ich alle dabei unterstützen, in den Vorstand zu kommen, wäre er völlig überfüllt. Es gilt für Björn Höcke das gleiche wie für alle anderen – ich werde weder protegieren noch diskriminieren.  

Hinter dem Streit um die Doppelspitze steht unter anderem der Hang eines Teils der AfD-Mitgliederschaft zur Graswurzeldemokratie. Gibt es in der Partei wie bei den frühen Grünen einen Konflikt zwischen „Fundis“ und „Realos“, also zwischen Basisdemokraten und Pragmatikern und wird dieser Konflikt auf dem Parteitag erneut zum Ausdruck kommen? 

Meuthen: Wir haben in der Tat auf der einen Seite den Anspruch, mit dem die AfD angetreten ist, anders zu sein als die anderen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Notwendigkeit, die Partei funktionsfähig für die politische Auseinandersetzung zu machen und zu professionalisieren. Daß es zwischen beidem ein Spannungsfeld gibt, ist normal. Auf keinen Fall wollen wir werden wie die Altparteien und zu einer Apparatschik-Organisation verkommen. Aber wir dürfen auch nicht in einem Zustand verharren, in dem wir uns selbst lähmen. Wir müssen und werden hier einen klugen Mittelweg finden.

Und wie?

Meuthen: Das muß austariert werden. Der Parteitag wird dazu beitragen. 

Welcher Konflikt wird für die AfD in Zukunft der dominante sein, der um die Basisdemokratie oder der zwischen rechtem „Flügel“ und „Alternativer Mitte“? 

Meuthen: Beide Fälle sind keinswegs so bipolar, wie von Ihnen dargestellt. Ich glaube, daß für die meisten Parteimitglieder sowieso nicht das im Vordergrund steht, was uns unterscheidet, sondern das, was uns alle eint. Das ist die tiefe Sorge um unser Vaterland und eine Vorstellung davon, was hier künftig politisch anders gemacht werden muß als derzeit noch von unseren politischen Gegnern der anderen Parteien. 






Prof. Dr. Jörg Meuthen, war als Nachfolger von Bernd Lucke ab Juli 2015 gemeinsam mit Frauke Petry Bundessprecher der Alternative für Deutschland. Seit deren Austritt im September 2017 ist er alleiniger Parteivorsitzender. Seit März 2016 ist er außerdem Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Von Juli 2015 bis Oktober 2016 war er dort auch Landesvorsitzender und von März 2016 bis November 2017 zudem Fraktionschef. Der Professor für Volkswirtschaft lehrte an der Hochschule für öffentliche Verwaltung im badischen Kehl sowie an den Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien in Freiburg und Karlsruhe. Geboren wurde Jörg Meuthen 1961 in Essen.

Foto: Bundessprecher Meuthen: „Wir wollen nicht werden wie die Altparteien, aber wir dürfen auch nicht in einem Zustand verharren, der uns lähmt. Wir werden einen klugen Mittelweg finden“

 

weitere Interview-Partner der JF