© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Itzehoe A: Man müßte das Thema „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ noch einmal aufgreifen, vor allem unter dem Aspekt, was in der Nachkriegszeit an Zerstörung geleistet wurde. Im norddeutschen Itzehoe etwa, einer Stadt, die die Bomben weitgehend verschont haben, wo es während der zwanziger und dreißiger Jahre eindrucksvolle Beispiele für die organische Erweiterung des schönen alten geschlossenen Stadtbildes gab und nach 1945 eine Mischung aus Wahllosigkeit und kultureller Selbstaufgabe Platz griff, die heute den Gesamteindruck bestimmt, der durch den Rückzug des traditionellen Einzelhandels aus der Innenstadt, den Nagelstudios, Automatenhallen und Billigketten ersetzen, nur noch verstärkt wird.

˜

Itzehoe B: Mitten in der Stadt steht das „Neuner-Denkmal“, benannt nach dem ehemaligen Preußischen Artillerieregiment Nr. 9. Das Monument für die Gefallenen wird flankiert von zwei kleineren Steinsetzungen, die an ehemalige Kommandeure erinnern. Neben dem Grafen Waldersee wird da auch des früheren Oberbefehlshabers des Heeres Werner von Fritsch gedacht, der, nachdem er einer Intrige zum Opfer gefallen und seines Postens enthoben worden war, bei Beginn des Polenfeldzugs den Tod im Feld suchte. Ein merkwürdiges Relikt soldatischer Tradition, das bei den letzten Schleifungen offenbar übersehen wurde.

˜

Die Adoptionsvermittlung Alberta Child and Family Service hat einem Ehepaar die Annahme eines Kindes verweigert, da es sich aufgrund seiner christlichen Überzeugung zur „natürlichen“ Familie – bestehend aus Vater, Mutter, Kindern – bekannte. Die Begründung lautet, daß das Ehepaar keine Gewähr dafür biete, im Fall einer unsicheren Geschlechtszuordnung oder Homosexualität mit der gebotenen Sensibilität zu reagieren. Die Regierung der Provinz Alberta hat diese Entscheidung unterstützt. Alberta Child and Familiy Service ist eine von der katholischen Kirche getragene Organisation.

˜

Der Unterschied zwischen der Verzogenheit als Eliten- und als Massenphänomen ist, daß sie im ersten Fall noch mit Manieren einherging, im zweiten nicht.

˜

Differenz: Laktoseintoleranz ist ein Phänomen, das global weit verbreitet ist. Allerdings sind die verschiedenen Weltgegenden in ganz unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Die neuesten Daten sprechen dafür, daß lediglich vier Prozent der Skandinavier und zehn Prozent der Engländer sowie 15 Prozent der Deutschen latoseintolerant sind. Innerhalb Frankreichs variiert der Anteil sehr stark; zwischen 17 Prozent im Norden und 65 Prozent im Süden. Letztere Zahl entspricht dem Grad der Unverträglichkeit in den Mittelmeerregionen, die in der Regel bei 50 bis 75 Prozent liegt. Noch höher ist er in Schwarzafrika mit 80 und in Asien mit 90 bis 95 Prozent. Diese Staffelung spiegelt sich in der Situation, die man in den USA vorfindet: Dort wurde Laktoseintoleranz bei 13 Prozent der Weißen, 53 Prozent der Hispanics, 74 Prozent der Schwarzen und 87 Prozent der indianischen Ureinwohner festgestellt.

˜

Bildungsbericht in loser Folge: Der französische Philosoph Luc Ferry, Bildungsminister 2002 bis 2004, hat in einem Interview darauf hingewiesen, daß es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen schulischer Leistung, ethnischer Homogenität und reaktionärer Familienstruktur gebe. Das bewiesen nicht nur die überdurchschnittlichen Ergebnisse der asiatischen Länder mit konfuzianischer Tradition bei internationalen Vergleichen, sondern auch die Daten, die sich ergeben, wenn man die Schüler in den verschiedenen Schweizer Kantonen prüfe. Da schneide ausgerechnet das ländliche Wallis am besten ab.

˜

Angesichts der mörderischen Vertreibung der Rohingya aus Myanmar und der Hungerkatastrophe im Jemen fragt man sich doch, warum in beiden Fällen an die Weltöffentlichkeit appelliert wird und der Westen selbstverständlich Maßnahmen ergreift, während die reichen muslimischen Staaten – vor allem Saudi-Arabien und die Golfanrainer – keine besonderen Anstalten machen, ihre Glaubensbrüder zu unterstützen. Caritas ist wohl doch ein christliches Spezifikum.

˜

Die Literatin Juli Zeh darf im Stern darüber sinnieren, ob nicht doch der Einsatz von Molotowcocktails das richtige Mittel in der Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten ist, und ihre Kollegin Sibylle Berg phantasiert bei Spiegel Online von „faschistischen Bewegungen, mit denen nicht zu reden ist“, weshalb vielleicht „der Schwarze Block, die jungen Menschen der Antifa“, die wahren Helden des „Widerstandes“ seien, weil „die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen“, womit selbstverständlich brutale Gewaltanwendung gemeint ist. Wer hat die Phantasie, sich so etwas mit umgekehrten Vorzeichen in irgendeinem halbwegs etablierten Medium vorzustellen? 

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. Dezember in der JF-Ausgabe 51/17.