© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Die Mutter aller Explosionen
1917: Fast 2.000 Tote nach dem Halifax-Unglück
Thomas Schäfer

Schon vor den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki kam es immer wieder zu gigantischen konventionellen Explosionen, welche teilweise auch ganze Städte in Schutt und Asche legten. Eine davon ereignete sich während des Ersten Weltkrieges im Hafen von Halifax auf der kanadischen Halbinsel Nova Scotia. 

Dieser war nach dem Kriegseintritt der USA zu einem Hauptumschlagplatz für militärische Güter auf dem Wege nach Europa geworden – entsprechend zugenommen hatte der Schiffsverkehr. Aufgrund dessen kollidierten am Morgen des 6. Dezember 1917 der französische Frachter „Mont Blanc“ und das norwegische Passagierschiff „Imo“ in einer Engstelle der Hafeneinfahrt. Die Hauptschuld hieran trugen Kapitän Aimé Le Medec von der „Mont Blanc“ sowie der örtliche Lotse Francis Mackey. 

Obwohl der Zusammenstoß keine großen Schäden anrichtete, entzündeten sich dabei die 35 Tonnen Benzol an Bord des Franzosen, dessen Besatzung panisch über Bord sprang. Denn das Schiff hatte außerdem noch 63 Tonnen Schießbaumwolle, 2.300 Tonnen hochexplosive Pikrinsäure und 200 Tonnen TNT-Sprengstoff geladen.Nach der Flucht der Mannschaft trieb die führerlose brennende „Mont Blanc“ auf die Kaianlagen im Halifaxer Stadtteil Richmond zu, wo zahllose Schaulustige zusammenströmten. Die ahnten nicht, in welcher Gefahr sie schwebten, weil sie die Warnrufe der französischen Matrosen nicht verstanden.

Um 9.04 Uhr explodierte die brisante Ladung schließlich mit einer Wucht von rund 2,5 Kilotonnen TNT. Zum Vergleich: Die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe betrug 12,5 Kilotonnen. Infolge der Detonation wurden 1.946 Personen getötet und etwa 9.000 verletzt, viele davon durch herumfliegende Glassplitter. Immerhin gingen die Scheiben im Umkreis von siebzig Kilometern zu Bruch, während der Explosionsknall sogar noch auf der 300 Kilometer entfernten Kap-Breton-Insel zu hören war. Der 520 Kilogramm schwere Ankerschaft der „Mont Blanc“ flog fast vier Kilometer weit.

Sofort nach der Katastrophe machte das Gerücht die Runde, hier handele es sich um das Werk deutscher Agenten. Dem jedoch widersprach der Halifaxer Wreck Commissioner Mitte Dezember, indem er sowohl Kapitän und Lotse der „Mont Blanc“ als auch den Hafenkommandanten Evan Wyatt von der Royal Canadian Navy für das Unglück verantwortlich machte. Die drei kamen deshalb umgehend in Haft – am Ende reichten die Beweise freilich nur für ein Verfahren gegen Wyatt, das dann aber im März 1918 mit Freispruch endete.