© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Frisch gepresst

Deutsche Weltliteratur. Gleich zu Beginn ihrer „Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur“ dekretiert die Stuttgarter Literaturhistorikerin Sandra Richter: „Literatur ist per se multikulturell“. Nach dieser Huldigung an den Zeitgeist der bundesrepublikanischen Vielvölkerrepublik marschieren bereits auf der vierten Seite „die Nazis“ auf, die ihre Literatur der Welt als Weltliteratur auferlegen wollten und – hier zeigt die designierte Nachfolgerin Ulrich Raulffs an der Spitze des Marbacher Literaturarchivs sogleich mutig Gesicht – „scheiterten, erfreulicherweise“. In diesem Ton geht es automatenhaft weiter in ihrer im Kern doch brav konventionellen, aber mit reichlich Globalisierungssound und „transnational-multilingualem“ Gedöns aufgemotzten Rezeptionsgeschichte, die etwa notiert, wie Rilke, Hesse und Grass in Indien aufgenommen werden, oder uns weismachen möchte, wie Goethes ins Arabische übersetzter „Werther“ die „lesende Jugend des Orients“ auf die „ästhetische und soziale Revolte“ vorbereitet. Die Autorin, Jahrgang 1973, ein von Zweifeln nicht angekränkeltes Produkt der PC-Sozialisation, verschmäht keine Schablone, keine Platitüde. Sie muß sich daher nicht anstrengen, ihren von einem Dutzend „Forschungsstudenten“ ausgeschütteten elektronischen Zettelkasten gedanklich zu strukturieren. Wie hat es Theodor Fontane auf den Punkt gebracht: „Schlecht ist schlecht, und es muß gesagt werden.“ (wm)

Sandra Richter: Eine Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 2017, gebunden, 728 Seiten, Abbildungen, 36 Euro





Massenhysterie. Amerikaner mit deutschen Wurzeln hatten vor 1917 ihren anerkannten Platz in der US-Gesellschaft. Aber bereits drei Jahre früher kippte die Stimmung gegen alles Deutsche um, teilweise angeheizt durch britische Propagandalügen (Babymorde deutscher Soldaten in Belgien) oder die Empörung über die „Lusitania“-Versenkung 1915. Erik Kirschbaum erinnert an die Zeit nach dem Kriegseintritt 1917, als diese antideutsche Stimmung sich zu entsetzlichen Pogromen steigerte. Mindestens 35 Deutschstämmige wurden von Lynchmobs getötet, Aberhunderte mit „Teeren und Federn“ öffentlich gedemütigt. Das Morden und Foltern wurde später oft staatlicher- seits nicht nur amnestiert, sondern in vielen Teilen der USA sogar als „patriotische Tat“ gefeiert. (bä)

Erik Kirschbaum: Geteert. Gefedert. Gelyncht. Die Verfolgung deutscher Einwanderer in den USA während des Ersten Weltkriegs. Osnaton Verlag, Brühl 2017, gebunden, 191 Seiten, 19,95 Euro