© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

In die Pflicht genommen
Bundesparteitag: Die AfD zeigt sich in Hannover so unberechenbar wie eh und je / Gauland neuer Sprecher
Christian Vollradt

Es gab Momente, da konnte man den Eindruck gewinnen, die AfD sei schon mehr „Altpartei“, angekommen im Establishment, als es ihren Mitgliedern lieb wäre. Vor dem Seiteneingang des Hannover-Kongreßzentrums, wo am vergangenen Wochenende der Bundesparteitag stattfand, reihten sich die gepanzerten schwarzen Limousinen mit dem Blaulicht auf dem Dach. Indiz für die Anwesenheit von Polit-Prominenz. Tatsächlich waren führende AfD-Politiker, etwa die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Alice Weidel und Alexander Gauland, aber auch ihre Stellverteterin Beatrix von Storch mit Personenschutz des Bundeskriminalamts angereist. Auch die große Halle, die Lichteffekte, die Leinwände, auf die Kandidatenlisten projiziert werden, die Fernsehsender mit ihren Bühnen für die Live-Schalte in den Saal: das alles beweist, die Partei ist längst ein ernstzunehmender Faktor im politischen Betrieb. 


***

Wo immer Thüringens AfD-Chef Björn Höcke durch die Reihen schritt, waren Kameraleute, Fotografen und Journalisten um ihn herum. Ob er antreten werde, trotz des laufenden Ausschlußverfahrens? Die Mutmaßung, er werde es nicht tun (JF 49/17), sollte sich als richtig erweisen. Allerdings ließ Höcke zu Beginn des Parteitags einen Testballon steigen: Während die Tagesordnung von den meisten inhaltlichen Anträgen leergeräumt wurde, damit man schnell zur zeitaufwendigen Wahl des neuen Vorstands kommen konnte, machte sich Höcke zum Fürsprecher eines zusätzlichen Punktes: Grußwort des gastgebenden Landesvorsitzenden, Armin-Paul Hampel. Offenbar wegen der Streitereien im Landesverband Niedersachsen war dies nicht vorgesehen. „Hallo Hannover!“, rief Höcke, das Mikrofon lässig in der Hand. Sein Plädoyer nützte nichts. Die Mehrheit per Handzeichen war dagegen; Höcke sah das anders und verlangte die Abstimmung mit den elektronischen Geräten. Raunen im Saal. Das Ergebnis blieb negativ. Beim „Flügel“ war mancher sauer auf den Thüringer wegen dieser unsinnigen Aktion. 


***

Die Wiederwahl von Bundessprecher Jörg Meuthen verlief glatt. 72 Prozent der Stimmen erhielt er – ohne Gegenkandidat. Zuvor hatte Meuthen ausdrücklich die Behauptungen zurückgewiesen, er sei ein Raffke. Die Debatte um das Wie seines Weggangs nach Brüssel hatte ihm offensichtlich zugesetzt (JF 49/17). Er habe nie ein Doppelmandat angestrebt, sondern das alles nur als Übergangslösung gesehen. Beklatscht, ja bejubelt wurden dagegen andere Aussagen seiner Bewerbungsrede: „Ich bin zutiefst bürgerlich, und wenn mich bildungsferne Deutschland-Abschaffer wie Claudia Roth als Spießer bezeichnen, empfinde ich das als Adelstitel und bin gerne ein Spießer.“ Dem „Flügel“ gehöre er nicht an, so Meuthen, sehe ihn aber als einen – „ich betone: einen“ – integralen Bestandteil der Partei an.


***

Der Berliner AfD-Fraktions- und Landeschef Georg Pazderski bewarb sich um den Posten des zweiten Bundessprechers mit einem Appell an den Pragmatismus. Die Partei müsse sich „auf den Tag X“ vorbereiten, an dem sie bereitstehe, Verantwortung zu übernehmen. „Kritisieren ist das eine, Verändern das andere.“ Die AfD dürfe sich nicht selbst blockieren, sondern müsse an Deutschland denken. Eine Regierungsbeteiligung dürfe es nicht um jeden Preis und nicht ohne ein Votum der Parteimitglieder geben. Am ehesten sei das denkbar in den östlichen Bundesländern, in denen die AfD schon jetzt auf Augenhöhe sei. „Ich möchte nicht, daß wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft“, rief dagegen seine überraschend angetretene Gegenkandidatin Doris von Sayn-Wittgenstein in den Saal – und bespielte damit die Klaviatur der Gefühle unter zahlreichen AfD-Anhängern. 


***

Das Ergebnis war die Überraschung des Parteitags. Schockierend für die Pazderski-Leute, bejubelt vom „Flügel“: Im ersten Wahlgang führte Sayn-Wittgenstein mit 49,4 Prozent zu 47,3 Prozent; nur die Neinstimmen verhinderten den Sieg der Landesvorsitzenden aus Schleswig-Holstein. Eine Stimme mehr für sie, und die weitgehend Unbekannte wäre Bundessprecherin geworden. Im zweiten Wahlgang verlief es genau umgekehrt: Pazderski kam auf 284 Stimmen, von Sayn-Wittgenstein auf 275. Doch auch hier verhinderten elf Nein-Stimmen die notwendige Mehrheit. Das Patt blieb. Die Stunde des Partei-Seniors Gauland schlug. Während andere die Kandidatin noch bestürmten, ihre Kandidatur aufrechtzuerhalten, sprach der Fraktionsvorsitzende hinter den Kulissen ein Machtwort und zog die Reißleine. 


***

Im dritten Wahlgang trat Gauland also selbst an, nachdem Pazderski und Sayn-Wittgenstein verzichtet hatten.  Gauland erhielt ohne Gegenkandidaten knapp 68 Prozent. Er versprach, er wolle die Einheit der Partei erhalten und mit allen Parteiflügeln konstruktiv zusammenarbeiten. Anders als geplant, habe er eigentlich Vize werden wollen. „Aber ich lasse mich in die Pflicht nehmen. Wir sind eine Bürgerbewegung und zugleich in den Parlamenten eine liberal-konservative Reformpartei.“ Die AfD dürfe keine ihrer Wurzeln abschneiden. So lange sie noch nicht stark genug sei, werde sie klare Opposition sein und Alternativen aufzeigen müssen.


***

Pazderski stellte sich dann zur Wahl für den ersten Stellvertreter – und gewann. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betonte er, er werde an seinem avisierten Kurs in Richtung Professionalisierung festhalten. Die Frage, ob er sich „beschädigt“ sehe, verneinte der ehemalige Generalstäbler. „Als Soldat muß man wissen, wann man ein Gefecht abbricht.“  Er sei schließlich jetzt auf die vorherige Position Gaulands aufgerückt. „Parteitage entwickeln eine Eigendynamik“, entscheidend sei gewesen, daß man gemeinsam eine Zerreißprobe verhindert habe.


***

Als bei der Kandidatur von Alice Weidel für den ersten Beisitzerposten Björn Höcke ans Mikrofon trat und der Bundestagsfraktionsvorsitzenden Ämterhäufung vorwarf – er brachte in diesem Zusammenhang den Begriff „Sonnenkönigin“ ins Spiel –, da erntete er Buhrufe von den Weidel-Unterstützern. Schließlich war das Argument gegen den vom „Flügel“ unterstützten Alexander Gauland nicht ins Feld geführt worden. 

 

***

Viel zu tun hatten den gesamten Parteitag über die Strippenzieher. Auch darin hat sich die AfD den vielgeschmähten „Altparteien“ angenähert. Hauptunterschied jedoch: die Absprachen hielten nicht immer. Es blieb kein Geheimnis, daß Gauland, Meuthen und Repräsentanten des „Flügels“ den zweiten Bundessprecher-Posten nicht gern von Pazderski besetzt sehen wollten. Meuthen fürchtete, der Berliner könnte zu großen Einfluß in der Hauptstadt haben; schließlich hätte der den Standortvorteil ausnutzen können. Am Samstag hatte man dann einen Deal gemacht: Pazderski wäre der Zugriff auf die Geschäftsstelle eingeschränkt, die Medienpräsenz je zur Hälfte verteilt worden. Das notdürftig austarierte Konstrukt hielt nicht lange. Frau von Sayn-Wittgenstein indes hatte ihre Schuldigkeit getan. Bei der Wahl zur zweiten Stellvertretenden Vorsitzenden unterlag sie im ersten Wahlgang.