© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

CD-Kritik: J. S. Bach – Matthias Goerne
Viel Bekümmernis
Jens Knorr

Im Gegensatz zu ebenso wie in Fortführung der Aufnahme unter Roger Norrington von 1996, macht sich Mat-thias Goerne seine diesjährigen Solokantaten von Johann Sebastian Bach für Baß BWV 56, „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“, und BWV 82, „Ich habe genug“, nicht schlechthin zu eigen: er annektiert sie. Nur phasenweise gelingt es dem Freiburger Barockorchester, Goernes bedeutungsschwer nachhallenden Bariton auch zu erdenlastbefreiter Leichtigkeit und banger Vorfreude auf den erlösenden Tod zu verführen. Dies und das für Oboe d’amore rekonstruierte Cembalo-Konzert in A-Dur, BWV 1055, das zwischen beide Kantaten geschaltet ist, geben die eindringlichen Momente der Aufnahme.

Goerne trägt sein unheimliches Legato pastos auf, wenn nicht sogar vor sich her. Allerdings klingt seine Stimme in tiefer Lage erstaunlich resonanzarm und erledigt er Koloraturen mit jener Stoßtechnik, die englische Kritiker gemeinhin als „German bark“ einstufen.

Die Auffassung Goernes und die des Orchesters gehen unüberhörbar auseinander. Sie holen Leipziger Protestantismus in die Gegenwart, er holt Gegenwart in die Romantik heim. Die Solokantaten dienen ihm als Folie stimmlichen und seelischen Außendienstes, nicht macht er vermittels seiner Stimme Musik beredt. Da weiß die Oboe d’amore, wenn sie Katharina Arfken spielt, mehr zu erzählen. 

J. S. Bach Solokantaten für Baß Matthias Goerne Harmonia mundi, 2017  www.matthiasgoerne.com