© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Ein düsteres Weltbild
Literatur: Houellebecq widmet sich Schopenhauer
Michael Dienstbier

Es verwundert nicht, daß Michel Houellebecq in Arthur Schopenhauer seine philosophische Muse gefunden hat. Beides in sich gekehrte Einzelgänger, beides große Pessimisten, die für das Narrativ des stets an sich arbeitenden und fortentwickelnden Menschen nur Hohn und Spott übrighaben.

Für den deutschen Philosophen (1788–1860) liegt allem menschlichen Denken und Handeln ein gleichgültiger, vernunftloser Wille zugrunde, den man zwar erkennen, sich ihm aber nicht entziehen könne. Diesen Gedanken brachte er in dem Aphorismus „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“ prägnant zum Ausdruck. Im Essay „In Schopenhauers Gegenwart“ beschreibt Houellebecq die prägende Kraft, die die Lektüre von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ auf ihn als jungen Mann und Schriftsteller gehabt hat.

Es ist ein düsteres Weltbild, welches die Leser seit fast zweihundert Jahren in ihren Bann zieht: der Mensch nicht mehr als ein triebgesteuerter Primat; Beziehungen zwischen Mann und Frau jenseits des Geschlechtsaktes seien zum Scheitern verurteilt; der freie Wille eine lächerliche Illusion, erfunden vom größenwahnsinnigen Homo sapiens – die Einflüsse von Schopenhauers Denken auf die Romane Houellebecqs sind allgegenwärtig. Besonders betont er den schopenhauerischen Gedanken, daß auch die Fähigkeit, Lust und Leid zu empfinden, mit der Intelligenz einer Person zusammenhängt: „Die Tiefe des Behagens und selbst der sexuellen Lust wurzelt im Verstand und wächst proportional zu seiner Kapazität; unglücklicherweise verhält es sich mit dem Leid genauso.“

In diesem Menschenbild liegt unter anderem begründet, warum fast alle Protagonisten von Houellebecqs Romanen frustrierte, desillusionierte Akademiker sind, die ihr Leben nur noch durch Orgien und Bordellbesuche als erträglich empfinden können. 

Hier sinniert einer der bedeutendsten Autoren unserer Zeit über die Grundlagen seines Denkens und Schreibens und liefert somit einen zentralen Zugang zum besseren Verständnis seines Werkes. Für Houellebecq-Kenner ein absolutes Muß.

Michel Houellebecq: In Schopenhauers Gegenwart. DuMont Buchverlag, Köln 2017, gebunden, 80 Seiten, 18 Euro