© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Von den Lebenslügen eingeholt
Drama: „Für immer schön“ von Noah Haidle am Schauspielhaus Mannheim mit Ulrike Folkerts in der Hauptrolle
Markus Brandstetter

Die Idee dahinter ist auf den ersten Blick ganz witzig: Da zieht eine schon ältere Vertreterin in der amerikanischen Stadt Grand Rapids von Haus zu Haus und verkauft Beauty-Produkte, also Lippenstifte, Antifalten-Cremes, Hautlotionen, unwiderstehliche Düfte und superscharfe Nagelfeilen. Weil auch die Amerikaner schon lange nicht mehr jeden, der an der Türe klingelt, hereinlassen, hat die Vertreterin mit dem schönen Namen Cookie Close sich schon vor Jahrzehnten eine kleine Verkaufsrede zugelegt, die sie vor jeder Haustür abspult: „Hallo, mein Name ist Cookie Close. Als ich ein kleines Mädchen von knapp sechs Jahren war, da sagte meine Mutter zu mir, daß Gott uns alle nach Seinem Bilde erschaffen hat. In diesem Moment war mein Schicksal entschieden! Ich war die geborene Kosmetik-Verkäuferin! Beauty-Produkte verdecken nichts, sie verstecken nichts, sie helfen uns, die vollkommenste Version unseres eigenen Bildes zum Vorschein zu bringen, ein Abglanz von Gottes Herrlichkeit zu sein! Darf ich einen Moment Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, oder drei?“

Hat Cookie mit dieser rhetorischen Seifenoper einen Fuß in die Tür gebracht, dann hat sie zwei Ziele: das Portemonnaie der Dame des Hauses und den Hosenbund des Hausherren. Denn diese Cookie ist nicht nur eine begnadete Verkäuferin, sondern auch ein sexuell permanent ausgehungerter Cougar, wie Amerikaner reife Frauen nennen, die auf junge Männer stehen. Aber wie das halt so geht, wenn man zu vielen Frauen zu viele Cremes, die nicht wirken, verkauft und dann auch noch mit deren Männern ins Bett geht: irgendwann ist die Party vorbei. Irgendwann holen einen die Lügen, der schlechte Ruf und all die kleinen Schandtaten ein. Und irgendwann machen auch die breitgelatschten Füße, die schon so viele Straßen, Bürgersteige und Fußabstreifer abgelaufen haben, nicht mehr mit.

In Rückblenden wird ihr Leben aufgerollt

Genau an diesem Punkt ist die stets strahlende Cookie zu Beginn von Noah Haidles Theaterstück „Für immer schön“ angelangt. Ab jetzt geht es abwärts. Mit der Schönheit, mit den Füßen und natürlich mit dem Umsatz, denn junge Frauen, denen Cookie einst die Tricks der Branche beigebracht hat, klappern jetzt die Straßen ab, die sie als ihr Revier beansprucht. Weil das alleine noch kein Theaterstück abgibt, hat der Autor, der in der laufenden Saison der Hausautor des Mannheimer Nationaltheaters ist, immer wieder Rückblenden eingebaut. Das ist eine Technik, die vom Film kommt und selbst da nicht immer funktioniert. Bei einem Theaterstück ist sie, das zeigt diese Aufführung recht schön, mindestens problematisch.

In diesen Rückblenden wird nun Cookies früheres Leben aufgerollt. Da taucht zum Beispiel ihre im Look der fünfziger Jahre aufgedonnerte Mutter auf, die bereits von der sechsjährigen Cookie Disziplin, Selbstverleugnung, Energie, Gottvertrauen und Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz und Enttäuschungen verlangt. Dann sieht man die verhärmte Vera, eine von Cookies besten Kundinnen, die soeben von der Beerdigung ihre Mannes heimkehrt – jenes Mannes, mit dem die Heldin der Komödie jahrelang geschlafen hat, was Vera aber erst zwei Tage nach dessen Ableben erfahren hat.

Im Mittelpunkt der Rückblenden jedoch steht Dawn, Cookies Tochter, das ungeplante Resultat eines Quickies mit dem minderjährigen Sohn einer Kundin. Nymphoman, egoistisch und vom Leben auf der Straße gezeichnet, ist Cookie natürlich keine gute Mutter. Sie verläßt Dawn, als die noch im Kinderwagen liegt, und macht sich auf Jahre aus dem Staub. Als sie wieder auftaucht, ist Dawn fünfzehn, traumatisiert, heroinabhängig und suizidgefährdet.

Cookie versucht ihrer Tochter nun das einzige mitzugeben, was sie selber hat: ihren Glauben an einen guten Gott, die Schönheit, die selbst im häßlichsten Menschen verborgen ist und nur durch Beauty-Produkte zur Geltung gebracht werden muß, und ihr Vertreterwissen. Aber Cookies beinharte Sprüche, die bei ihr selber noch funktioniert haben, wirken bei der Tochter nicht mehr. Die hängt sich am nächsten Baum auf. In der einzigen wirklich rührenden Szene des Abends sieht man am Schluß die inzwischen erblindete Cookie ihre tote Tochter an dem Strick, mit dem diese sich aufgehängt hat, über die Bühne ziehen und endlich in einem Erdloch begraben.

Anleihen bei Tennessee Williams

Aber für die unermüdliche Cookie – und den erschöpften Zuschauer – ist der Abend noch nicht vorbei. Blind, verarmt und kaputt kriecht Cookie zum Schluß nochmals eine Viertelstunde lang über die Bühne und wiederholt mantraartig ihre Lebenslügen von der gottgleichen Schönheit des Menschen, dem guten Universum und vom Lebensglück, das sich, verfügt der Mensch nur über genügend Arbeitswillen und Durchhaltevermögen, schon irgendwann einstellen wird.

Der 1978 in Grand Rapids geborene Noah Haidle ist kein großer Theaterautor. Dafür ist die Geschichte von „Für immer schön“ zu fadenscheinig und hat zu wenig dramatische Substanz. Außerdem sind die Anleihen bei größeren amerikanischen Dramatikern zu auffällig. Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ und Tennessee Williams’ „Glasmenagerie“ haben hier ganz offensichtlich Pate gestanden, während Cookie Close nicht viel mehr ist als die weibliche Ausgabe von Arthur Millers Willy Loman, dem Vertreter aus „Tod eines Handlungsreisenden“, der genau wie Cookie Close vom amerikanischen Traum besessen ist und wie sie daran zugrunde geht.

Trotzdem ist das Theater voll, und für die nächsten Aufführungen gibt es nur noch Restkarten. Das hat zwei Gründe: Zum einen befaßt Haidle sich in diesem Stück mit einem Thema, das jeder nachvollziehen kann. Jeder will schön sein, wer es nicht von Natur aus ist, hilft eben nach, und solange der Mensch lebt, träumt er von Glück, Geld und Erfolg.

Und dann ist da noch die exzellente Besetzung, allen voran die als „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal bekannte Ulrike Folkerts, die eine verschlagene, böse, wilde, erotische und gleichzeitig todtraurige Cookie gibt und aus dieser seichten Rolle weit mehr herausholt, als der Autor hineingesteckt hat.

Die nächsten Vorstellungen im Mannheimer Schauspielhaus, Am Goetheplatz, finden statt am 16. und 20. Dezember 2017 sowie am 12. und 19. Januar 2018. Kartentelefon: 06 21 / 16 80 150

 www.nationaltheater-mannheim.de