© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Die Maske der Egozentriker
Beile Ratut seziert den Typus des „Übermenschen“
Martin Voigt

Wer ist so gebildet, daß er nicht seine Vorzüge gegen andere manchmal auf eine grausame Weise geltend machte!“ – Eine Buchbesprechung mit einem Goethe-Zitat zu beginnen, mag eitler Stil sein. Aber wenn der (Ein-)Gebildete es selbst noch bemerkt, unterscheidet ihn das nach Ansicht der finnischen Autorin Beile Ratut vom Übermenschen. 

In ihrem Essay „Kompendium des Übermenschen“ beschreibt sie das Wesen krankhafter Egomanen, die bar jeglicher Selbsterkenntnis alles Zwischenmenschliche ihrem eigenen Vorteil unterordnen. In einer Welt aus Blendwerk und Fassade bewegt sich der Übermensch wie ein Fisch im Wasser. „Auch der im Innersten gemeine und selbstsüchtige Mensch kann sehr charmant sein, er kann Hervorragendes leisten und scheint die Menschheit zu bereichern“, schreibt Ratut. Fast jeder ihrer Sätze ist solch eine kleine Analyse, denen der Leser automatisch ein Beispiel eigener Erfahrung an die Seite stellt.

Der Übermensch begeistert, er sprüht vor Energie, zieht die Leute in seinen Bann und hat die Lacher auf seiner Seite. Das kann berauschend sein. Wer sich aber länger- oder gar langfristig in sein Schwerefeld begibt, wird feststellen, wie er seelisch ausblutet und im Grunde nur dazu nütze ist, übermenschlichen Glanz zu reflektieren. Wer bei diesem vereinnahmenden Spiel nicht schritthalten kann oder will, wird aus der Umlaufbahn entfernt. 

Die Romanautorin Beile Ratut („Das schwarze Buch der Gier“) hat hinter die Maske selbstgerechter Egozentriker geblickt: „Der Übermensch weiß nichts von Visionen außerhalb seiner selbst, er träumt nichts, hofft nichts und sehnt nichts herbei, das nicht ihn selbst zum Zentrum hätte.“

Das Verhalten dieses Menschenschlages habe sie viele Jahre „eher unfreiwillig“ erlebt, so Ratut zu Beginn ihres poetischen Psychogramms. Doch dann fing sie an, genau hinzusehen und ihre Gedanken festzuhalten: „Bahn frei für die Niedertracht“, „Ich bin die Koryphäe – du bist der Lakai“ oder „Liegst du am Boden, so trete ich noch zu“ – die Kapitelüberschriften kündigen Klartext an: der Übermensch wird regelrecht seziert und nach ein-, zweimal Umblättern auch die eigene Selbstherrlichkeit.

Beile Ratut: Kompendium des Übermenschen. Ruhland Verlag, Bad Soden 2017, gebunden, 106 Seiten, 18,80 Euro