© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

„Völlig unverständlich“
Lebensschutz: Nach dem Urteil gegen eine Ärztin aus Gießen fordern SPD, Linkspartei und Grüne die Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen
Christian Schreiber

Die wegen Werbung für Abtreibung verurteilte Ärztin Kristina Hänel aus dem hessischen Gießen hat inzwischen mehr als 135.000 Unterstützer (JF 49/17). So viele Menschen haben die Online-Petition der 61jährigen für ein umfangreicheres „Informationsrecht“ von Frauen beim Thema Abtreibung unterzeichnet. Hänel hat die Liste am Dienstag vor dem Berliner Reichstagsgebäude an Bundestagsmitglieder übergeben. 

Die SPD-Fraktion plädierte bereits in der vergangenen Woche für eine parteiübergreifende Initiative im Bundestag, um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche zu lockern. Auch der amtierende Justizminister Heiko Maas unterstützt den Plan, den entsprechenden Paragraphen 219a ersatzlos zu streichen. Die Regelung erschwere Frauen in extremen Notlagen den Zugang zu Informationen, meinte der saarländische SPD-Chef. Der Paragraph sieht vor, daß wer „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs anbietet, ankündigt oder anpreist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ wird. 

„Das Werbeverbot schützt ungeborenes Leben“

In der Praxis kam es in den vergangenen Jahrzehnten aber kaum zu Verurteilungen. Der Fall Hänel war quasi ein Novum. Die Gießener Ärztin war angezeigt worden, weil sie auf ihrer Internetseite darüber informiert hatte, daß sie die ärztliche Leistung anbot. Die Staatsanwaltschaft verlangte von ihr, den Hinweis zu entfernen. Das tat sie nur zum Teil. 6.000 Euro Geldstrafe lautete das Urteil des Amtsgerichts Gießen. Schon am Tag der Entscheidung legte die Linkspartei einen fertigen Gesetzentwurf vor. Demnach soll der Paragraph ersatzlos gestrichen werden. Die Linksfraktion hatte bereits im vergangenen Jahr eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um Auskünfte über die Praxis von Behörden und Gerichten zu bekommen: „Der Paragraph, der ja so ein Schattendasein geführt hat, wurde trotzdem von den sogenannten Lebensschützern genutzt, um ganz gezielt Ärztinnen und Ärzte anzuklagen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen“, hieß es anschließend in einer Pressemitteilung. 

Lebensschützer fühlen sich unterdessen aufgrund der steigenden Abtreibungszahlen bestätigt. „Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes verpflichten den Staat, Würde, Leben und Unversehrtheit jedes Menschen in jeder Lebensphase zu schützen. Aus diesen wichtigen Gründen ist ein fundiertes Beratungs- und Hilfsangebot an Schwangere im Schwangerschaftskonflikt eine dringend gebotene staatliche Pflicht und Aufgabe“, bekräftigte die Vorsitzende des Vereins Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr: „Warum sich angesichts hoher und wieder steigender Abtreibungszahlen gerade in diesen Wochen Parlamentarier der Linken, SPD, Grünen und FDP in einer interessanten, neuen und ideologisch motivierten ‘Spontan-Koalition’ im Bundestag für eine parteiübergreifende Initiative einsetzen, um die Zulassung der öffentlichen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu fordern, ist angesichts der tatsächlich akuten Probleme und Sorgen junger Frauen und Familie völlig unverständlich“, kritisierte die CDU-Politikerin weiter. 

Unterstützung erhielt sie von der Vorsitzenden der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, die ebenfalls den Zeitpunkt der Debatte bemängelte: „Das Werbeverbot ist Bestandteil eines Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben, das in jahrzehntelanger gesellschaftlicher Diskussion entwickelt wurde. Wenn wir hier Hand anlegen, wäre auch das Schutzkonzept an sich in Frage gestellt. Für eine so folgenschwere Entscheidung sollte man keine Interimszeit des Parlaments nutzen“, erklärte sie gegenüber der Welt. 

Die Grünen sehen dagegen Eile geboten. Der Paragraph stamme „direkt aus Absurdistan“ und gehöre ersatzlos abgeschafft, erklärte die Bundestagsabgeordnete Renate Künast. „Eine Abtreibung ist nicht strafbar, darum darf eine Information darüber auch nicht strafbar sein“, schloß sie. Künast betonte, der Bundestag sei Gesetzgeber, er könne nicht ewig auf eine neue Bundesregierung warten. Eine Mehrheit im Parlament sei möglich. „Notfalls müssen sich die Frauen der Fraktionen zusammenschließen und einen gemeinsamen Kompromiß finden.“