© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

Milliardenschub für Brüssel
Reform der Eurozone: Herzstück soll ein europäischer Währungsfonds sein – unter Kommissions-Kontrolle
Carsten Müller

Knapp drei Monate nachdem Jean-Claude Juncker bei seiner „Rede zur Lage der EU“ ein größeres Reformpaket ankündigte, hat seine EU-Kommission nun in Brüssel konkrete Vorschläge präsentiert. Deren Zielrichtung wird schnell deutlich: Die Eurozone soll stärker in das EU-System eingebunden werden. Oder wie es der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici formuliert: „Die Zukunft Europas ist der Euro, und die Zukunft des Euro ist Europa.“

Kernstück der Vorschläge ist die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds (EWF). Der Eurorettungsfonds ESM wurde 2012 zur Hochphase der Eurokrise eingerichtet und ist nominal mit 80 Milliarden Euro Eigenkapital ausgestattet. Deutschland ist mit 26,9 Prozent und einem eingezahlten Kapital von 21,7 Milliarden Euro größter Kapitalgeber. Insgesamt hat der ESM die Möglichkeit, Kredite im Gesamtvolumen von bis zu 500 Milliarden Euro auszugeben. Die nötigen Mittel dafür kann er über den Kapitalmarkt in Form von Anleihen aufnehmen.

Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Umbau zu einem Währungsfonds hätte dabei weitreichende Konsequenzen für die Entscheidungsprozesse der Kreditvergabe. Denn bislang entscheiden die Euro-Mitglieder über die Verwendung der Mittel. Zukünftig sollen EWF und EU-Kommission gemeinsam entscheiden. Dabei möchte Brüssel die bislang notwendige Einstimmigkeit durch eine qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent der Stimmen ablösen. Dies offiziell zwar nur für dringende Fälle. Wo hier allerdings die Grenzen gezogen werden, läßt die Kommission offen.

Als zweite Säule des Reformplanes könnten vier zum Teil neue Haushaltsinstrumente eingeführt werden. So sollen im EU-Haushalt insgesamt 300 Millionen Euro – doppelt soviel wie bisher – zur Verfügung gestellt werden, um Strukturreformen zu finanzieren. EU-Länder, die in die Eurozone eintreten wollen, können eine sogenannte Konvergenz-Förderung erhalten.

Das dritte Instrument betrifft den EWF, der als Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds dienen soll. Sollten für eine ordentliche Bankenabwicklung weder die Gelder der Gläubiger und Aktionäre noch des Bankenabwicklungsfonds ausreichen, soll am Ende der Währungsfonds den Rest der Zeche bezahlen. Als viertes Haushaltsinstrument könnte im EU-Budget nach 2020 auch noch eine Stabilisierungsfunktion eingeführt werden, um bei extern ausgelösten wirtschaftlichen Schocks in einzelnen Euro-Ländern die Investitionstätigkeit und damit das Wirtschaftswachstum unterstützen zu können.

Massivere Umverteilung innerhalb der Eurozone?

Der dritte Reformkomplex bezieht sich auf den europäischen Fiskalpakt. Dieser war 2012 von insgesamt 25 EU-Ländern unterzeichnet worden. Diese hatten sich dabei verpflichtet, auf Basis der Maastricht-Kriterien dafür zu sorgen, daß das jährliche strukturelle Defizit nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes oder die Gesamtverschuldung mehr als 60 Prozent des BIP beträgt. Diese Vereinbarungen sollen in EU-Recht überführt werden, was der EU-Kommission eine größere Machtfülle geben würde.

Als vierter Reformvorschlag wird die Installation eines EU-Finanzministers genannt. Dieser soll als Doppelmandat sowohl EU-Kommissar als auch Eurogruppenchef sein. Begründet wird dies damit, daß ein Kommissar dem EU-Parlament rechenschaftspflichtig wäre, was derzeit beim Chef der Eurogruppe nicht der Fall ist. Damit will die EU-Kommission angeblich Entscheidungen in der Eurogruppe transparenter und demokratischer machen. Allerdings soll der EU-Finanzminister vorerst nicht über ein eigenes Budget verfügen.

Insgesamt peilen die Reformvorschläge eine stärkere Verknüpfung und Einbeziehung der Eurozone und ihrer Institutionen in das EU-System an. Daß die Kommission dabei mit einem zeitlichen Fahrplan von nur 18 Monaten für die Umsetzung der Vorschläge operiert, dürfte am Brexit liegen. 2019 soll Großbritannien – mit oder ohne Vertrag – aus der EU ausscheiden. Mit den neuen Maßnahmen will die Kommission den EU-Haushalt nach eigenem Bekunden „wetterfest“ machen, um Turbulenzen abfedern können zu können. Die Maßnahmen zielen aber auch auf den mittelfristigen Finanzrahmen der EU, der ab 2021 gelten würde.

Die Reaktionen auf die Vorschläge fielen gemischt aus. So kritisierte Markus Ferber (Vizechef des Währungsausschusses im EU-Parlament/CSU), daß die Kommission „dauernd reflexartig über immer neue Töpfe, Institutionen und Entscheidungsmechanismen nachdenkt“. AfD-Chef Jörg Meuthen warnte vor einer „noch massiveren Umverteilung in der Eurozone und einer noch weiteren Entmündigung der deutschen Steuerzahler“. Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, warnte, ein EU-Finanzminister erwecke „die Illusion, die Wirtschafts- und Finanzpolitik werde europäisch gesteuert. Tatsächlich liegen Kontrolle und Verantwortung aber bei den nationalen Parlamenten und Regierungen“.

Bundesfinanzminister Peter Altmaier will abwarten: „Die Vorschläge, die jetzt vorgelegt worden sind, verlangen keine konkreten Entscheidungen in den nächsten zwei oder drei Monaten.“ Allerdings heißt das nicht, daß der CDU-Spitzenpolitiker – und damit auch die Bundesregierung – den Plänen zu kritisch gegenübersteht. Das zeigte sich auch in seiner ersten Twitter-Reaktion: „Die @EU_Commission Vorschläge zur Vollendung der WWU sind ein wichtiger Beitrag + verdienen sorgfältige und konstruktive Prüfung durch alle MS.“

EU-Fahrplan für Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion:  ec.europa.eu/

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