© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

Der Flaneur
Hilfsbereite Allianz
Paul Leonhard

Eine Dame in der Uniform der Fluggesellschaft baut sich vor dem rothaarigen Mann auf, der in der Warteschlange vor mir steht. „Ich möchte Ihr Gepäck wiegen?“ Der läßt den Griff seines Trolleys los: „Bitte sehr!“ Die Frau verzieht keine Miene: „Sie müssen Ihr Gepäck selbst auf die Waage stellen!“ Die Wartegemeinschaft hält den Atem an und wird enttäuscht – kein Vorgesetzter wird gerufen, kein Sicherheitsdienst. Der Rothaarige hebt brav seinen Trolley auf die Waage. Exakt sechs Kilogramm. Die Dame ist enttäuscht.

Bei anderen hat sie mehr Erfolg. Zwei Rentner müssen ihr zum Schalter folgen und die üppigen Übergepäckpreise bezahlen. Andere Reisende packen aus und um und ziehen ihre Wintermäntel wieder an. 

Plötzlich helfen auch andere. Die süßen Mitbringsel sollen ihre Empfänger erreichen.

In der Weihnachtszeit steigen die Flugpreise. Dabei muten die Ferienflieger den Reisenden so einiges zu. Ich bin zum Glück von mir entgegenkommenden Landsleuten gewarnt worden: „Warten Sie auf den letzten Aufruf, die wiegen heute.“ Ich habe mich trotzdem in die Schlange gestellt, hinter mir ein junges Paar ohne Handgepäck. Als sehe man mir meine Sorgen an, erklären sie sich bereit im Fall des Falles eine meiner beiden Taschen als ihre auszugeben.

Gerade hat die Servicekraft wieder zwei herausgefischte Rentner am Wickel. Der Mann will nicht zahlen und sortiert stattdessen aus. Tüten mit Stollen, Lebkuchen und anderen weihnachtlichen Leckereien stapeln sich neben einem Mülleimer.

Eine burschikose Mittvierzigerin mischt sich ein: „Sie wollen das wegwerfen?“ Der Mann macht eine hilflose Bewegung. „Den Stollen und die Lebkuchen nehme ich“, sagt die Frau. „Im Flieger gebe ich Ihnen alles zurück.“

Plötzlich greifen auch andere helfend zu. Die süßen Mitbringsel sollen ihre Empfänger erreichen. Praktizierte Solidarität sozusagen. Als die Fluggesellschaft später um Spenden für eine „Help-Alliance“ wirbt, können sich viele Passagiere ein Lachen nicht verkneifen.