© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Die Türkei polarisiert in der Jerusalem-Frage
Kein Verbündeter mehr
Jürgen Liminski

Der Herr Erdogan bläst sich wieder mächtig auf. In seinem Palast in Ankara dürften in einigen der tausend Zimmer Karten von der Zukunft der Region hängen, die mit denen des 19. Jahrhunderts übereinstimmen. Jedenfalls sieht der neue Sultan in den ehemals osmanischen Ländern Gebiete des Dar al-Salam, des Hauses des Friedens, im Klartext: Gebiete unter islamischer Herrschaft. Und Europas Gegenden westlich von Wien sind für ihn Gebiete des Dar al-Sulh, des Hauses des Waffenstillstands, also Gebiete, in denen der Islam noch nicht herrscht – für Erdogan nur eine Frage der Zeit und der Mobilisierung. Sind die islamischen Massen erst einmal mobilisiert, kann man zum nächsten islamischen Aggregatzustand übergehen, dem Dar al-Harb, dem Haus des Krieges, also zum konkreten Kampf gegen die Ungläubigen.

Im Nahen Osten wähnt er sich schon soweit. Dort benutzt er gerade die Jerusalem-Frage zur Mobilisierung der arabischen Straße. Aber Massen finden sich nur im osmanischen Kernland Türkei zusammen, im Maghreb, in Jordanien und in Palästina selbst sind die Proteste sehr überschaubar. Und Europa? Hier, besonders in Brüssel und Berlin, sollte man sich ernsthaft fragen: Ist ein Typ, der so denkt und redet, noch ein Verbündeter oder nicht längst ein Feind, der bereits zum (geistigen) Angriff bläst?