© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

„Franziskus hinterläßt ein Trümmerfeld“
Einen „unerhörten Akt der Auflehnung“ nennen die Medien den Protest konservativer Katholiken gegen den Kurs des Papstes. Der ehemalige Generalobere der Piusbruderschaft erklärt, warum sich der Widerstand formiert
Moritz Schwarz

Hochwürdiger Herr Pater, darf man einen Papst kritisieren?

Franz Schmidberger: Äußert er sich „privat“, dann ja – wohl aber mit der ihm gebührenden Ehrfurcht und dem Geist der Unterordnung.

Allerdings ist das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“, an dem sich der konservative Protest entzündet hat, keine private, sondern eine offizielle Verlautbarung.

Schmidberger: Das stimmt – jedoch  ohne den Anspruch päpstlicher Unfehlbarkeit. Es gibt also quasi doch nur die „private“ Sichtweise des Papstes wieder. 

Der gilt als Hüter des Glaubens. Sind seine Ansichten also nicht verbindlich? 

Schmidberger: Unbedingt verbindlich ist nur, was er ex Cathedra als Glaube und Sittenlehre der Kirche verkündet; also mit dem Anspruch, oberster Lehrer zu sein.  

Aber wie kann ein Hüter des Glaubens irren – ist das nicht widersprüchlich?

Schmidberger: Nein, denn auch der Papst ist nur Mensch und nicht gegen Irrtum gefeit. Er steht nicht über der Wahrheit, sondern ist deren Diener. Johannes XXII. etwa vertrat im 14. Jahrhundert die Ansicht, die beseligende Anschauung der im Stand der Gnade Verstorbenen erfolge erst am Jüngsten Tag. Die Universität Paris protestierte, und Johannes mußte seine Sicht revidieren.

Warum sprechen die Medien dann bezüglich der „Dubia“ („Zweifel“) genannten Kritik an „Amoris laetita“ von einem „unerhörten Akt der Auflehnung“?

Schmidberger: An der Intervention der vier Kardinäle – Carlo Caffarra aus Italien, Raymond Burke aus den USA und der beiden Deutschen Walter Brandmüller und Joachim Meisner – ist überhaupt nichts „unerhört“. Ihre „Dubia“ – also Anfragen zu Zweifelsfällen – an Papst Franziskus zu richten ist ihr gutes Kardinals-Recht. Es handelt sich dabei um nichts weiter als um Nachfragen, um Klarheit zu schaffen.

Zum Beispiel? 

Schmidberger: Etwa, ob es aufgrund dessen, was er in „Amoris laetitia“ schreibt, nunmehr „möglich geworden ist, eine Person ... zur heiligen Eucharistie zuzulassen, die trotz gültiger Ehe mit einer anderen Person zusammenlebt“. Es geht also um die Frage, ob die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe noch gilt.

Weshalb steht das in Zweifel?

Schmidberger: Weil die Formulierungen in „Amoris laetita“ Spielräume öffnen, um „Wiederverheirateten“ die sakramentale Lossprechung zu spenden und die heilige Kommunion zu reichen. Bisher war das unmöglich. Denn die Ehe ist ein Sakrament und unauflöslich, so das Wort Christi. Seit „Amoris laetita“ aber ist die Lage unklar. Daher die Dubia der Kardinäle.  

Warum ist das so wichtig?

Schmidberger: Weil es in Fragen des Glaubens keine unklare Lage geben darf. Das Wort der Kirche muß eindeutig sein, denn auf ihm gründet die rechte christliche Lebensführung. Die Kirche ist nur Sachwalterin dessen, was ihr der Herr anvertraut hat und kann sich nicht darüber hinwegsetzen. Der Heilige Geist kann sich nicht selbst widersprechen.

Warum hat der Papst sich in „Amoris laetita“ nicht eindeutig geäußert?

Schmidberger: Das weiß ich nicht. 

Was vermuten Sie? 

Schmidberger: Denkbar wäre, daß er das bisherige klare Nein lockern will – dies aber nicht eindeutig zu tun wagt.

Das heißt, der Papst taktiert?

Schmidberger: Wie gesagt, auch er ist nur ein Mensch. Man darf die Unfehlbarkeit nicht mit der Fehler- und Sündlosigkeit verwechseln.

„Amoris laetita“ erschien bereits 2016, warum kommt der Protest erst jetzt?

Schmidberger: Die Kardinäle haben die Dubia schon 2016 eingereicht und zunächst eine Antwort des Papstes abgewartet. Erst als diese ausblieb, haben sie die Dubia öffentlich gemacht. Allerdings sind zwei von ihnen – Caffarra und Meisner – inzwischen verstorben.

Muß der Papst antworten?

Schmidberger: Er muß nicht. Doch unterläßt er es, nährt er weiter Verwirrung und Zweifel unter den Gläubigen. 

Warum antwortet er nicht? 

Schmidberger: Nun, möglicherweise will er gar keine Klarheit, damit die Unauflöslichkeit der Ehe quasi hintangestellt werden kann, ohne daß er sie offiziell in Frage stellen muß, denn sonst gäbe es wohl gewaltigen Widerspruch.

Inzwischen sorgt weiterer Protest von konservativer Seite – die sogenannte „Zurechtweisung“ – für Schlagzeilen.

Schmidberger: Im Gegensatz zu den Dubia der Kardinäle haben diese „Correctio“ 62 Laien und Theologen unterschrieben. Zusätzlich sind über 800.000 Unterschriften von Gläubigen in Rom eingegangen, die um Klärung bitten.  

Warum ein zweiter Protest?

Schmidberger: Man kann es als Unterstützung der Dubia interpretieren, da diese bis jetzt offiziell ignoriert wurden. 

Wird das den Papst zur Antwort bewegen?

Schmidberger: Das weiß keiner, es wäre zu hoffen. Falls ja, dann sicher auf die Dubia, nicht auf die Correctio der Laien.

Haben die Medien angesichts des Titels  „Zurechtweisung“ nicht doch recht, wenn sie von „unerhörter Auflehnung“ sprechen? 

Schmidberger: Das Original ist in Latein abgefaßt, der Sprache der Kirche. Und dort ist von „Correctio filialis“ die Rede. Man kann das als „kindliche Zurechtweisung“ übersetzen oder milder mit „Berichtigung“.  

Der ganze Titel lautet: „Zurechtweisung wegen Verbreitung von Häresien“. Der Papst verbreite also „Häresien“ – Irrlehren wider den Glauben. Ist das kein Affront? 

Schmidberger: Ein nicht unerheblicher Vorwurf, vor allem aber ein Schmerzensschrei. Allerdings gibt es zwei Arten von Häresie – formelle und materielle. Die formelle liegt vor, wenn bewußt der Glaubenslehre widersprochen wird. Die materielle, wenn dies unabsichtlich passiert. Ich möchte annehmen, daß die Correctio von einer materiellen Häresie des Papstes ausgeht. Um so wichtiger ist es, daß er sich klärend äußert.

Der „Spiegel“ schreibt: „Franziskus wirbt für mehr Barmherzigkeit und Offenheit. Dafür kritisieren ihn (konservative) Kirchenleute.“ Trifft diese Zusammenfassung zu? 

Schmidberger: Nein, dies ist keine objektive, nachrichtliche Darstellung, sondern voreingenommene Interpretation. Sie diffamiert die Kritiker, indem sie unterstellt, diese seien unbarmherzig mit verschlossenem Herzen. Tatsächlich handeln sie aber nicht aus Unbarmherzigkeit, sondern aus Sorge um die Glaubenslehre. Und wenn Papst Franziskus sich in Gegensatz zur Lehre begibt, ist das nicht „barmherzig“, sondern fahrlässig, denn es bringt den Glauben in Gefahr. Das Glaubensgut ist aber etwas unendlich Wertvolles. Es zu mißachten bedeutet, sein ewiges Heil aufs Spiel zu setzen. 

Kritiker wenden ein, „modernisiert“ sich die Kirche nicht, verstehen die Menschen sie eines Tages nicht mehr und wenden sich ab. Das klingt doch plausibel.

Schmidberger: Nicht die Reform der kirchlichen Einrichtungen zieht die Menschen an, sondern die Heiligkeit durch eine ständige Reform der Geister und der Herzen. Nicht das ist darf das soll bestimmen, sondern umgekehrt, das soll das ist.  

Dann, so die Argumentation, ist die Lehre nicht barmherzig. Und zählt dem Christen Barmherzigkeit nicht mehr als reine Lehre?

Schmidberger: Wir müssen gegenüber dem Sünder barmherzig sein, nicht aber gegenüber der Sünde. Dies wäre grausamer Betrug. Barmherzigkeit bedeutet also auf keinen Fall, die Lehre außer Kraft zu setzen, sondern vielmehr den Sünder aus seiner Sündhaftigkeit herauszuführen, ihn zu Buße, Lebensbesserung und Neubeginn zu führen.

Sie sagten, der Papst taktiere. Sehen Sie hinter seinem Handeln also eine Strategie?

Schmidberger: Nun, da „Amoris laetitia“ kein Einzelfall ist und da ihn von Beginn an nicht nur die vier, sondern ein Dutzend Kardinäle auf die Problematik hingewiesen haben, muß ich leider sagen – der Verdacht liegt nahe. 

Sie unterstellen also einerseits, der Papst führe gezielt zur Glaubensverunsicherung, andererseits schreiben Sie in Ihrem Buch „Gott, Kirche, Welt und des Teufels Anteil“ man dürfe seine Autorität nicht je nach Amtsinhaber akzeptieren oder nicht, sondern in jedem Fall. Wie paßt das zusammen?

Schmidberger: Der Papst ist der Papst, eingesetzt durch Gott. Es bleibt nichts, als viel für ihn zu beten und Gott anzuflehen, seiner Kirche zur Hilfe zu kommen. Ich bin sicher, es kommt auch wieder ein Papst, der Klarheit schafft. Aber zunächst wird es wahrscheinlich zu weiteren Konflikten kommen. Als nächstes wohl um den Zölibat.  

Inwiefern?

Schmidberger: Für 2019 hat der Papst  eine Amazonas-Synode einberufen. Ich fürchte, dort wird diskutiert werden, ob nicht – „unter besonderen Umständen“, „wegen Priestermangels etc.“, „ausnahmsweise“ und „ad experimentum“ – sogenannte viri probati, also bewährte verheiratete Männer Priester werden können. So würde der Zölibat aufgebrochen, ohne ihn formal abzuschaffen – was wohl zuviel Widerstand provozieren würde. Jedenfalls wird der Nachfolger dieses Papstes ein gewaltiges Trümmerfeld aufräumen müssen. 

Oder er wird es für rechtmäßig erklären.

Schmidberger: Das kann ich mir nicht vorstellen! Denn das könnte zum offenen Schisma, zur Kirchenspaltung, führen. 

Bekanntlich befindet sich Ihre Piusbruderschaft seit ihrer Gründung in Konflikt mit dem Vatikan. Sind Sie also überhaupt ein glaubwürdiger Kritiker des Papstes und nicht voreingenommen? 

Schmidberger: Wir haben ganz einfach seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegen Wind und Wetter am Glauben der Kirche festgehalten – ist das nichts?

Ihr Konflikt mit Rom entzündete sich vor allem daran, daß die Piusbruderschaft darauf beharrt, die alte – sogenannte tridentinische – Messe im lateinischem Ritus zu feiern. Ist das nicht nur eine Äußerlichkeit?

Schmidberger: Ganz und gar nicht, es ist von größter Bedeutung, daß es sich bei der heiligen Messe um ein Opfer handelt – denn daraus fließt der Opfergedanke für das christliche Leben.

Was meinen Sie damit?

Schmidberger: Der Christ muß in der Nachfolge Jesu, des Gekreuzigten, sich selbst verleugnen, er muß seine schlechten Neigungen bekämpfen, er ist sozusagen zu einer Selbstdarbringung gegenüber Gott aufgerufen. Die neue Liturgie verdeutlicht das aber nicht mehr. Sie hat Anleihen aus dem Protestantismus gemacht, der die Eucharistie als bloßes Gedächtnismahl sieht. Was passiert, wenn der Opfergedanke aus dem christlichen Leben verschwindet, sehen wir in unserer Gesellschaft voller Egoismus, Gier und Hoffart. Viele heutige Christen sind im Grunde Neuheiden.

In Ihrem Buch beschreiben Sie den sogenannten Traditionalismus. Warum ist der nach Ihrer Ansicht wichtig für die Kirche?

Schmidberger: Weil die Kirche nicht nur eine Tradition hat – sondern eine Tradition ist! Jesus sagte: „Tut dies zu meinem Angedenken! Tut, was ich euch gelehrt und hinterlassen habe!“ Die Liturgie ist eben nicht nur äußere Form, sondern drückt die Dogmen, die Glaubensinhalte aus: etwa das Geheimnis der Dreifaltigkeit, der Gottheit Christi, der Realpräsenz Jesu, also seiner Anwesenheit unter den Gestalten von Brot und Wein, die Fürsprache der Heiligen, insbesondere der allerseligsten Jungfrau, die Erneuerung des Kreuzesopfer in der heiligen Messe selbst. Sie spricht von Himmel, Hölle, ewigem Leben. Sie ist mithin gebetetes Dogma. In der „modernen“ Liturgie sind diese Wahrheiten gemindert, verdunkelt. Mit der Auflösung der Form kommt die Auflösung des Inhalts. Das ist es, was ich in meinem Buchtitel mit „des Teufels Anteil“ meine: die Auflösung des christlichen Heilsgeheimnisses, der Gegenwart Christi im Altarssakrament und als König in der Heilsgeschichte – durch die Abschaffung einer Form, die dieses Wesen erfahrbar gemacht hat. Und zwar zugunsten einer Form, deren „Essenz“ nicht mehr ist als ein diesseitiges, gemeinschaftliches Erlebnis, ein soziales Happening. Kein Wunder, daß die meisten „Christen“ heute ganz in der Diesseitigkeit aufgehen und nicht mehr aus dem Geheimnis des dreifaltigen Gottes und des menschgewordenen Sohnes Gottes und seiner Kirche leben. 






Franz Schmidberger, der ehemalige Mathematiker war bis 2013 Oberer des deutschen Distrikts der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX). In dieser sammelte der französische Erzbischof Marcel Lefebvre ab 1970 junge Leute, die traditionalistisch gesinnt sind und weihte sie nach entsprechender Ausbildung zu Priestern. Sie lehnt einige Texte des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) ab. Zeitweilig galt sie dem Vatikan als dem Schisma nahe. Heute erkennt dieser sie an, verweigert ihr aber noch einen kirchenrechtlichen Status. Pater Schmidberger, der 1946 im schwäbischen Riedlingen geboren und 1975 zum Priester geweiht wurde, stand ihr von 1983 bis 1994 als Generaloberer vor. Heute leitet er eines von sechs Priesterseminaren der Bruderschaft im bayerischen Zaitzkofen. Jüngst veröffentlichte er zusammen mit dem Publizisten Ingo Langner den Gesprächsband „Gott, Kirche, Welt und des Teufels Anteil“ (JF 48/17).

Foto: Der Papst im Kreuzfeuer der Kritik: „Begibt sich der Heilige Vater in Gegensatz zur Lehre der Kirche, ist das nicht ‘barmherzig’, sondern fahrlässig, denn es bringt den Glauben in Gefahr“ 

 

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