© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Die Chemie paßt
Österreich: Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen
Verena Rosenkranz

Die Krawatte nochmal zurechtgezupft, die Brille hochgeschoben, ein staatsmännisches Gesicht aufgesetzt und freundschaftlicher Smalltalk während des Wartens in den Prunkräumen der ehemaligen k.u.k Monarchie. In einer Stirnreihe aufgefädelt warten die neuen Ministeramtskandidaten sichtlich nervös auf den vor ihnen liegenden Staatsakt. 

 Niemand von ihnen außer Sebastian Kurz hatte bislang Regierungserfahrung. Wettgemacht wurde dieser Eindruck am Montag um elf Uhr in der Hofburg allerdings durch ein freundliches und zuversichtliches Lächeln beider Parteien. Mit den Worten „sehr geehrter Herr Bundesminister Kurz, sehr geehrter Herr Klubobmann Strache“ eröffnete Präsident Alexander Van der Bellen die Vereidigung der neuen Bundesregierung. 

EU-Kommissar Moscovici rät zu Wachsamkeit

Nur wenige Minuten und eine Unterschrift später ist Kurz mit 31 Jahren der jüngste Bundeskanzler in der Geschichte des Landes und Heinz-Christian Strache sein Vizekanzler. Obwohl der Bundespräsident und ehemalige Grünen-Politiker fast vergessen hatte, Strache die Hand zu reichen, gaben schließlich alle Beteiligten mit den Worten „ich gelobe“ dem Präsidenten und einander kurz vor Weihnachten noch das Versprechen der Treue. Zumindest für die kommenden fünf Jahre.

Nur etwas mehr als zwei Monate nach den vorgezogenen Nationalratswahlen in Österreich Mitte Oktober steht nun im Land der Berge eine neue Regierung. Der charismatische Gewinner Kurz (ÖVP) und der langjährige Oppositionschef Strache (FPÖ) erarbeiteten in Rekordzeit ein Reformprogramm für die in den vergangenen Jahren von Stillstand geplagte Republik. Ihre bereits zuvor nicht allzu große politische Distanz verringerte sich in dieser Zeit zu einer konstruktiven Zusammenarbeit etwa in puncto Zuwanderung, Sozialversicherungsträger und Doppelstaatsbürgerschaft für die Südtiroler.

Dennoch zeigte sich etwa EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici alarmiert über die Zusammenarbeit von Kurz mit der freiheitlichen Rechtspartei. „Demokraten, die an europäische Werte glauben, müssen ein wachsames Auge auf die Koalition“ werfen, twitterte  der Sozialist. Die Situation unterscheide sich wahrscheinlich zu der vorherigen Koalition im Jahr 2000. Aber die Anwesenheit der „extremen Rechten an der Macht“ sei „niemals unbedeutend“. Auch der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella, zeigte sich über die Bildung einer „extrem rechten Regierung“ in Österreich „sehr beunruhigt“. Der Italiener schloß sogar neuerliche Sanktionen gegen Wien nicht aus.

Erstaunlich positiv äußerte sich jedoch der österreichische Bundespräsident, der in seiner Rede von einer konstruktiven und zukunftsweisenden Zusammenarbeit der beiden Parteien in den vergangenen Wochen sprach. Man könne zu der neuen Regierung stehen, wie man wolle, es sei aber eine demokratische Entscheidung zu akzeptieren. Gelassen sieht die konstruktive Entwicklung der konservative Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani. Er ließ Kurz via Twitter ausrichten, daß er „mit einer starken proeuropäischen Regierung rechnet“. 

Während sich die Freiheitlichen jahrzehntelang EU-kritisch zeigten und zeitweise sogar eine Abstimmung über einen Ausstieg forderten, gaben sie bereits während des Wahlkampfes ein klares Bekenntnis zur Union ab und erleichterten Präsident Alexander Van der Bellen damit auch die Vereidigung am Montag.

Insgesamt werden es, wie bisher unter Rot-Schwarz, wieder 16 Minister sein, die in den kommenden fünf Jahren die Geschicke von Österreich maßgeblich beeinflussen. Acht Ministerien erhielt nach intensiven Verhandlungen die ÖVP, sechs die FPÖ. Beide Parteien erhalten zusätzlich jeweils einen Staatssekretär.

Strache: 75 Prozent des FPÖ-Programms umgesetzt

Die Tatsache, daß die Ministerien nicht ganz gleichauf verteilt sind, erregt bei einigen Wählern der Blauen allerdings Unmut. Um das freiheitliche Kernanliegen, die Wahlfreiheit für Raucher, durchzuboxen, scheint man kurz vor Abschluß der Gespräche doch noch ein Ministerium „geopfert“ zu haben –  zum Unmut zahlreicher Rechtswähler, wie auch aus diversen Kommentaren in den sozialen Medien hervorgeht. 

Die Erwartungen beider Wählerschichten scheinen die Parteien jedoch dennoch in der Aufteilung der Ministerien großteils getroffen zu haben. Während das Innenministerium künftig in blauer Hand und damit unter Herbert Kickls Führung stehen wird, wanderte das Finanzressort an die nunmehr türkise ÖVP, die den parteilosen ehemaligen Chef der Uniqa-Versicherung, Hartwig Löger, ins Rennen schickt. 

Das Verteidigungsministerium wird künftig vom steirischen Freiheitlichen Mario Kunasek und damit einem Berufssoldaten geführt. Das Landwirtschaftsministerium bleibt weiterhin in schwarz-türkiser Hand. Die von den Freiheitlichen nominierte parteilose Orientexpertin Karin Kneissl übernimmt das Außenamt und der ehemalige FPÖ-Präsidentschaftsanwärter Norbert Hofer  das Infrastrukturministerium 

Weil vor allem von seiten freiheitlicher Wähler Kritik an der Handschrift des neuen Regierungsprogrammes laut wurde, fand Strache lobende Worte: Keine neuen Steuern, dafür Einsparungen im Sozialsystem, Entlastungen für Familien und Arbeiter, die Abgabenquote soll auf 40 Prozent gesenkt werden, die Mindestpension bei 40 Jahren Arbeit 1.200 Euro netto betragen. 

Mehr als 2.000 Planstellen sollen bei der Polizei geschaffen und der illegalen Migration der Kampf angesagt werden. Unter anderem soll die Mindestsicherung von durchschnittlich über 800 Euro pro Monat nur noch 365 Euro betragen – sich im Falle von positiven Integrationsbemühungen jedoch um 155 Euro erhöhen. Auch Handydaten von illegal Eingereisten sollten künftig leichter ausgewertet werden können und Abschiebeverfahren beschleunigt werden. 

„Es ist ein exzellentes, gutes Programm geschaffen worden“, so FPÖ-Chef Strache. „Wir beide finden uns mit 75 Prozent in diesem Programm! Wir wollen nicht alles anders machen, aber vieles besser. Die Chemie paßt, und wenn wir das fortsetzen, ist noch ganz Großes möglich!“ Auch Sebastian Kurz lobte die Zusammenarbeit mit Strache. Man habe sich vor allem auf eine „klar proeuropäische Ausrichtung geeinigt“ – mit dem „Ziel, die europäische Subsidiarität zu stärken“. Eine Europäische Union, die in „großen Fragen stärker ist, und sich in kleinen Fragen zurücknimmt“.