© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Das verflixte 13. Jahr
Vorschau: Angela Merkel erlebt nun die „Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft“
Paul Rosen

Vor über drei Monaten haben die Bundesbürger ihr neues Parlament gewählt. Passiert ist seitdem – nichts. Nachdem die Bildung einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition gescheitert war, steht jetzt wieder die Große Koalition auf der Agenda. „Ich gehe davon aus, daß wir es bis Ostern schaffen können“, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, zur Regierungsbildung mit der Union. 

Wenn er sich da nicht irrt. Denn in Berlin machen zur Jahreswende ganz andere Gerüchte und Berichte die Runde, nach denen zu den Landtagswahlen in Hessen und Bayern (jeweils im Herbst) 2018 weitere Großereignisse hinzutreten könnten. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt gab einen Fingerzeig mit dem Hinweis, Angela Merkel erlebe jetzt die „Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft“. Auch vielen in der CDU sei inzwischen klar, daß nach zwölf Jahren die Zeit der Kanzlerin vorbei sei.

Angela Merkel stürzt in Umfragen ab

Damit könnte 2018 noch ereignisreicher und aufregender werden als 2017, das Jahr, in dem im Bundestag erstmals seit der Wiedervereinigung eine konservative Opposition Platz nehmen konnte. Das von der SPD und zuletzt auch von CSU-Chef Horst Seehofer genannte Datum „Ostern“ (Anfang April) für die Bildung einer neuen Bundesregierung sorgt für Unmut in der Wählerschaft. Es wäre dann seit der Bundestagswahl ein halbes Jahr vergangen, bis Merkel eine Regierung gebildet hätte. Überraschend meldete sich der von Merkel einst abservierte frühere CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz zu Wort, dem das Interregnum nicht gefällt: „Eine Regierung kann ja nicht unbegrenzt geschäftsführend im Amt bleiben. Die Verantwortlichen müssen zusehen, daß sich dies so schnell wie möglich ändert.“

In Umfragen stürzt die Regierungschefin gerade ab: Jeder zweite (47 Prozent) will nicht, daß Merkel noch bis 2021, dem planmäßigen Ende der 19. Wahlperiode, Kanzlerin bleibt. 26 Prozent wollen überhaupt noch eine Große Koalition. Mögen sich die Politiker im Berliner Interregnum auch bequem eingerichtet haben und die wenigen zu regelnden Dinge im Bundestag über einen in der Verfassung nicht vorgesehenen Hauptausschuß abwickeln, so ist die Merkelsche Macht-Erosion nicht mehr zu übersehen. Es sind nicht nur die Jusos, deren Chef Kervin Kühnert den Beginn des Endes von Merkels Amtszeit sieht und die SPD aufruft, „diese Amtszeit nicht zu verlängern“. Früher wohlmeinende Medien wie der Stern sehen Merkel im Zentrum einer Krise: „Realitäts- und Machtverlust gehen Hand in Hand“

In Zeitungsberichten (Handelsblatt) werden ungenannte CDU-Abgeordnete zitiert, die von Merkel verlangen, den Stabwechsel zu organisieren. Mit Namensnennung erfolgte ein Bericht in der Bild-Zeitung: Danach soll Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, der neue Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, mehrere konkrete Prognosen für 2018 abgegeben haben: 1. Keine Neuauflage der Großen Koalition. 2. Neuwahlen zum Bundestag im Jahr 2018 und 3. Neuwahlen ohne Merkel als Spitzenkandidatin der Union. Der Bericht wurde dementiert, aber daß die Bildung der „Groko“ gelingen könnte, bezweifeln andere ganz offen: „Angesichts des Zustands der SPD habe ich Zweifel“, erklärte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, der zusammen mit dem Finanzpolitiker Jens Spahn und der rheinland-pfälzischen CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner zur Führungsreserve der Partei gezählt wird. In der Tat sind die von der SPD aufgestellten Hürden so hoch, daß die Bildung der Koalition sehr schwierig werden könnte: Bürgerversicherung, EU-Einigung und Nachzug von Angehörigen der Flüchtlinge heißen die Stichworte. Selbst Merkel kam nach der Bundestagswahl zu dem Ergebnis, die SPD sei auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig – eine Prognose, die durchaus noch ihre Bestätigung erfahren könnte. Und auch eine Erweiterung, von der bereits der jeden Trend frühzeitig aufspürende FDP-Chef Christian Lindner redet: Er kann sich eine Jamaika-Koalition plötzlich wieder vorstellen – aber nur ohne Merkel. Diese Debatte wird bisher nur außerhalb der Union geführt, was sich sehr schnell ändern kann, wenn das CDU-Personal beginnt, sich um seine Mandate und damit um die eigene Existenz Sorgen zu machen. 

Unwägbarkeiten sind besonders auf europäischer Ebene auszumachen: Die Wahlen in Italien könnten das mit Milliarden-Spritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) stabil gehaltene Euro-System wieder destabilisieren. In der Folge drohen Probleme auch für das deutsche Bankensystem. Bausparkassen und Lebensversicherungen sind ohnehin in akuter Gefahr. Stabilisierungsmaßnahmen werden bald kommen müssen. Dies gilt – aber aus demographischen Gründen – auch für die Rentenversicherung. Auf der europäischen Agenda stehen Regelungen zum EU-Austritt von Großbritannien und zur Verteilung von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Flüchtlingen aus. 

Innenpolitisch dürften die Landtagswahlen in Hessen und Bayern den Herbst bestimmen – und dabei vor allem die Frage, wie stark die AfD abschneiden wird. Eine starke AfD in Hessen könnte die Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition unter Volker Bouffier unmöglich machen. In Bayern strebt der designierte Ministerpräsident Markus Söder die absolute Mehrheit an. Ob er sie erreichen kann, hängt stark von der Berliner Entwicklung ab. Folge der Großen Koalition im Bund waren 38,5 Prozent für die CSU in Bayern. Das hält die Begeisterung im Söder-Lager für eine Fortsetzung auf Sparflamme.