© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

„Wir brauchen eine strikte Regelung“
Minderjährige Migranten: Ein Mord befeuert die Debatte um eine verbindliche Altersfeststellung
Peter Möller

Nach dem grausigen Mord eines angeblich 15 Jahre alten afghanischen Flüchtlings an einer gleichaltrigen Schülerin in einem Drogeriemarkt im rheinland-pfälzischen Kandel kurz nach Weihnachten kursierte im Internet ein bitterböses Bild. Es zeigte einen lächelnden alten schwarzen Mann mit grauen Haaren und dazu den Spruch: „Abdullah, syrischer Flüchtling (16 Jahre)“. 

Verläßliche Methoden,      das Alter zu bestimmen

Dieses satirische Posting hat einen ernsten Hintergrund, der sich über den Jahreswechsel zu einer innenpolitischen Debatte entwickelte. Denn nachdem das erste Foto des Täters von Kandel veröffentlicht worden war, wurden schnell Zweifel an seinem Alter laut. Der junge Mann auf dem Foto sah nicht aus wie ein 15jähriger Jugendlicher, sondern eher wie ein junger Mann Anfang 20. Es wäre nicht der erste Fall eines straffällig gewordenen angeblich minderjährigen Flüchtlings, bei dem sich herausstellen würde, daß er bereits wesentlich älter ist. 

Für die Betroffenen ist es verlockend, bei der Einreise falsche Angaben über ihr Alter zu machen. Die Behörden kümmern sich mit deutscher Gründlichkeit und einer materiellen Rundumversorgung um jeden jungen Ausländer, der nach Deutschland kommt und behauptet, er sei minderjährig und ohne Eltern ins Land gekommen. Eine systematische Überprüfung des Alters findet in der Regel durch die zuständigen Jugendämter nicht statt. Kein Wunder, daß sich Deutschland zu einem Magnet für minderjährige Ausländer entwickelt hat. Mittlerweile leben in Deutschland mehr als 50.000 Menschen, die von den Behörden als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge anerkannt wurden – mehr als in jedem anderen Land der Welt.

Nach der Bluttat von Kandel forderten sogleich mehrere Politiker der Union eine Ausweitung der Altersuntersuchung. „Wir brauchen eine strikte Regelung für eine medizinische Altersüberprüfung von allen ankommenden Flüchtlingen, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind“, sagte etwa Bayerns Innenminister Joa-chim Herrmann (CSU) der Funke-Mediengruppe. Dafür werde sich die CSU in den Sondierungsgesprächen mit der SPD einsetzen. „Noch immer täuschen zu viele Flüchtlinge ein jugendliches Alter vor“, kritisierte Herrmann. Doch der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka machte sogleich deutlich, daß eine Einigung nur schwer möglich werden dürfte. Im Gespräch mit der Welt am Sonntag lehnte er eine Untersuchungspflicht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ab. Allerdings befürwortete er „einheitliche Standards“, auf die sich Bund und Länder einigen sollten. „Es ist unbefriedigend, wenn jedes Jugendamt in Deutschland weitestgehend eigenständig entscheidet, wie die Altersfeststellung erfolgt“, sagte Lischka. Die meisten Medien ließen dabei unter den Tisch fallen, daß die AfD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz bereits im November 2016 einen Antrag eingebracht hatte, der eine verpflichtende medizinische Altersfeststellung für alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge forderte. Der Antrag war auch von der CDU abgelehnt worden.

Denn es gibt längst verläßliche Methoden, das Alter zu bestimmen. Etwa durch eine ärztliche Begutachtung der körperlichen Reife oder durch radiologische Untersuchungen. Doch diese werden von den Behörden nur selten angewandt. Das ist schwer nachzuvollziehen, da die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin mit ihrer Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik einen international anerkannten Diagnosestandard zur Ermittlung des Lebensalters entwickelt hat. Zwar erlaubt dieser nicht die Feststellung des exakten Alters, aber doch eines Mindestalters, was nach Einschätzung von Experten bei der Frage, ob ein Flüchtling tatsächlich noch nicht volljährig ist, ausreichen würde. Dafür müssen allerdings die Hand und möglicherweise auch das Schlüsselbein geröntgt werden.

Aus diesem Grund meldete in der aktuellen Debatte sogleich der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, Widerspruch an. Der Mediziner lehnte einen obligatorischen Alterstest grundsätzlich ab. „Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Röntgen ohne medizinische Indikation sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Nach den Regeln des Strahlenschutzes sei es nur in einem Strafprozeß zulässig, das Alter medizinisch zu überprüfen. Als Beispiel nannte Montgomery den Fall in Kandel. Dort könne der unter Verdacht stehende Afghane nun zu Recht untersucht werden. Dennoch warnte er vor zu hohen Erwartungen an die medizinische Altersbestimmung von Flüchtlingen. „Die Untersuchungen sind aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet“, sagte Montgomery.

Bemerkenswert: Trotz der aktuellen kontroversen Debatte lassen ausgerechnet die SPD-regierten Stadtstaaten Hamburg und Berlin bereits seit Jahren immer wieder Asylbewerber an den Universitätskliniken untersuchen, um ihr Alter festzustellen. Ganz billig ist dieses Verfahren indes nicht: Für jedes Altersgutachten bezahlt die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie etwa 1.500 Euro.