© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Die Zeichen stehen auf Sturm
Iran: Die Bevölkerung murrt über schlechte Lebensverhältnisse / Kontroverse zwischen Teheran und Riad
Marc Zoellner

Nur einen Tag hatte Hamrahe Aval gezögert, dann kappte der iranische Kommunikationsanbieter, der allein im Iran gut 66 Millionen Menschen versorgt, seine Netze – und Millionen Iraner saßen ohne Internet da. Vorausgegangen waren Bilder von Tausenden von Menschen, welche sich in den Innenstädten von Chorramabad, Ahvas und Zandschan auf den Straßen versammelten, „Tod den Mullahs“ riefen und aufgehängte Plakate des Obersten Religionsführers Ayatollah Ali Chamenei von den Wänden rissen, um diese zu verbrennen.

Iran wähnt sich als Opfer einer Verschwörung 

Für die Protestler war die Internetsperre ein schwerer Schlag. Überraschend kam sie allerdings um so weniger. Schon lange blockt die schiitische Theokratie ihren Bürgern die Seitenaufrufe von Youtube, von Facebook und Google Plus. Wer trotzdem Zugriff erlangen möchte, muß sich über ausländische Proxyserver einwählen. Hierzu bedarf es allerdings eines lokalen Internetzugangs. Und eben diesen strich Hamrahe Aval, gleich nach Anordnung der Teheraner Machthaber. Denn größter Anteilseigner Hamrahe Avals ist die Telecommunication Company of Iran (TCI) – und deren Hauptbesitzer wiederum das Mobin Trust Consortium, das Kapitalbeteiligungsunternehmen der Iranischen Revolutionsgarde, dem paramilitärischen „Staat im Staate“, welcher wiederum direkt dem Obersten Religionsführer Ali Chamenei untersteht.

Seitdem ringen die iranischen Staatsmedien um die alleinige Deutungshoheit jener Unruhen, die sich wie ein Lauffeuer auf beinahe sämtliche größeren Städte des Landes ausbreiten. Teheran inszeniert sich dabei als Opfer einer internationalen Verschwörung. „Einmal mehr versucht der Feind, ein neues Komplott vorzubereiten und die sozialen Medien sowie die wirtschaftlichen Umstände dazu zu nutzen, um einen weiteren Aufruhr zu erzeugen“, warnte Ayatollah Mohsen Araki in einem Beitrag der semi-staatlichen Nachrichtenagentur Fars News Agency (FNA). „Jeder dieser Schritte“, ließ die FNA auch regierungsfreundliche Gegendemonstranten zu Wort kommen, sei „gelenkt von konterrevolutionären Kräften, von US-amerikanischen, britischen und israelischen Geheimdiensten, um Unruhen und Uneinigkeit im Iran zu erzeugen.“

„Die Saudis sind Teil eines Netzwerkes, das im Internet einen Krieg gegen den Iran gestartet hat“, erklärte Ali Schamchani, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats des Iran (SNSC), im pro-iranisch orientierten libanesischen Fernsehsender Al Mayadeen. „Doch Riad wird trotz seiner Einmischung in den Iran und seine vergeblichen Versuche, die wachsamen Iraner zu provozieren, seine Niederlage im Jemen nicht kaschieren können.“

Die Kontrolle über die seit einer Woche andauernden Proteste hat die Teheraner Regierung indes längst schon verloren: Auch am Dienstag fanden sich erneut unzählige Iraner zusammen, um in der Landeshauptstadt sowie in über 105 weiteren Städten ihren Unmut kundzutun. Am Montag zählten Beobachter noch 172 Proteste in 62 Städten des Landes. 

Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften sowie der Revolutionsgarde kamen mittlerweile über 13 Menschen ums Leben, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Andere Quellen sprechen landesweit von bis zu 30 Toten, darunter auch mehrere erschossene Polizisten sowie ein getöteter Revolutionsgardist. An der Teheraner Universität griffen Hunderte regierungstreue Demonstranten eine Gruppe von Studenten, die unter dem Slogan „Tod dem Diktator“ gegen Chamenei protestierte, mit Knüppeln und Steinen an. In mehreren Teilen des Landes verwüsteten aufgebrachte Bürger Polizeistationen. Rund 450 Festnahmen verkündete die Polizei vergangenes Wochenende allein in Teheran. 

Präsident Rohani beschwört friedliche Proteste 

Ein Ende der Proteste ist längst noch nicht abzusehen. Denn neben den politischen sind es vor allem auch die wirtschaftlichen Umstände des Landes, welche die Iraner dieser Tage auf die Straße treiben.

Denn das im Atomdeal ausgehandelte Ende der umfassenden Handelssanktionen gegen den Iran bedeutete keineswegs – trotz der Hoffnung der iranischer Bürger – auch eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards im Land. Gegenteilig blieb die Arbeitslosigkeit konstant bei 13 Prozent; Grundnahrungsmittel wie Eier, Mehl und Milch verteuerten sich im vergangenen Jahr um bis zu 40 Prozent. Ihre Regierung, so die Meinung vieler Protestler, investiere den Devisenfluß lieber in außenpolitische Ambitionen, in Kriege und Stellvertreterkonflikte vom Libanon über Syrien bis hin zum Jemen. Vom Funken, der sich am 29. Dezember über die Eierpreise im nordostiranischen Maschhad entzündete, bis zum generellen Protest gegen das Ayatollah-Regime in der Hauptstadt Teheran, wo Tausende Demonstranten „Nicht Gaza, nicht Libanon, mein Leben nur für den Iran“ skandierten, war es von daher nur ein kleiner Schritt.

Der Regierung in Teheran ist die ökonomische Misere des Iran dabei durchaus nicht fremd: „Daß Land sieht sich mit ernsten Herausforderungen konfrontiert“, twitterte Hesamodin Ashna, Kulturberater des iranischen Präsidenten, zum Neujahr. „Mit Arbeitslosigkeit und hohen Preisen, mit Wasserknappheit, einem sozialen Gefälle sowie einer unausgeglichenen Verteilung des Staatshaushalts.“ Auch Präsident Hassan Rohani, der als Reformer und innenpolitischer Widersacher der iranischen Hardliner unter Ali Chamenei gilt, zeigte Verständnis für die anhaltenden Proteste – allerdings nur für jene „friedlichen“, von den Behörden im Vorfeld genehmigten, worunter keine der bisherigen Demonstrationen fiel.

Einzig Moskau leistet seinem Teheraner Verbündeten noch Schützenhilfe. „Das ist eine interne Angelegenheit des Iran“, kommentierte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow die Geschehnisse und mahnte, daß „externe Einmischungen inakzeptabel“ seien – gerade in Hinblick auf US-Präsident Donald Trump, dessen kürzliche Äußerungen zu den Unruhen in der Teheraner Regierung auf Empörung stieß. 

„Große Proteste im Iran“, twitterte dieser vergangenen Sonntag. „Die Leute kommen endlich auf die Schliche, wie ihr Geld und ihr Wohlstand gestohlen und für Terrorismus verschwendet wird. Es sieht so aus, als wollten sie das nicht länger hinnehmen.“ Zumindest den unzähligen iranischen Demonstranten scheinen diese Worte direkt aus dem Herzen zu sprechen. Der religiöse Führer lebe wie Gott, lautet  einer der populärsten Protestrufe, doch das „Volk nur wie die Bettler“.