© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Von der Antike inspiriert
Glanz der Salonkultur: Die Ausstellung „Gut – Wahr – Schön“ in München zeigt die andauernde Attraktivität überzeitlicher Ideale in der Kunst
Felix Dirsch

Das Gute, Wahre und Schöne ist in diversen Verfassungswerken kanonisiert und macht sich überdies gut im Rahmen von Sonntagsreden. Ein Blick in die Geschichte lehrt jedoch, daß es historische Perioden gab, in denen wenigstens ein weitgehender Konsens über den Inhalt dieser Werte bestand. Entscheidende Inspirationsquelle waren große Werke der Kunst, namentlich aus der Antike überlieferte. Johann J. Winckelmann, dessen 250. Todestag die Fachwelt 2018 gedenkt, exemplifizierte anhand berühmter Exponate wie dem Apollo von Belvedere sein bekanntes Diktum „edler Einfalt, stiller Größe“.

Die Salonkultur des 19. Jahrhunderts präsentierte viele, bis heute ansprechende Beispiele der normativen Kraft antiker wie christlicher Überlieferung. Die Künstler verarbeiteten in klassizistischer Tradition vornehmlich mythologische, biblische und historische Motive. Dieses Erbe war in Frankreich gewichtiger als in Deutschland. Der Staat unterstützte entsprechende Einrichtungen. Die Pariser École des Beaux-Arts war die wohl berühmteste. Wer in dieser Schule Aufnahme fand, konnte damit rechnen, öffentlich gefördert zu werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Regierung nutzte die Arbeiten im Sinne der Volkserziehung.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Hierarchien unverbindlicher, die Kritik an dieser Praxis lauter. 1855 notierte der französische Schriftsteller Maxime Du Camp: „Die Maler wissen heutzutage nicht einmal mehr, für was sie sich entscheiden und nach welchen Deutungen sie sich richten sollen. Sollen sie sich immer noch den Erzählungen der Antike zuwenden, um die sich kaum jemand schert? Sollen sie sich der Veranschaulichung religiöser Begebenheiten widmen, an die man nicht mehr glaubt? (…) Keiner unter ihnen macht den Eindruck, als wisse er es, und die unglückliche Historienmalerei, die mit ihrer Kraft am Ende ist, scheint kurz davor, auf immer zu verschwinden.“

Mehr als hundert Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und kunsthandwerkliche Objekte belegen die Auseinandersetzung um das Schönheitsideal einer Epoche, in der überlieferte Sujets auf modernes Leben treffen. Die Meisterwerke des Pariser Salons stammen mehrheitlich aus dem Musée d’Orsay. Der Rundgang beginnt nicht zufällig mit einem Ölgemälde Jean-Auguste-Dominique Ingres’, das den Titel trägt „Die Quelle“. Der David-Schüler gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten der Salonkunst. Mit seinem Tod 1867 ist der Niedergang der Historienmalerei absehbar. „Die Quelle“, ein Bild mit langer Entstehungsgeschichte, stellt eine Wassergottheit dar. Die Frauengestalt ist schön, der laszive Gehalt freilich nicht zu übersehen.

Viele der in der Schau präsentierten Maler und Bildhauer waren die bedeutendsten ihres Faches und ihrer Zeit: Jean-Baptiste Carpeaux, Joseph Blanc, William Bouguereau, Alexandre Cabanel, Gustave Moreau, um nur wenige zu nennen.

Probleme bereiteten – für Kenner mehr als für das interessierte Publikum – kaum zu leugnende Inkonsistenzen, die den Betrachtern öfter auffielen. Das Schöne war in der Perspektive der Zeit nur dann schön, wenn es sich auch als gut, das heißt: als tugendhaft, erweist. Der wohl unvermeidliche erotische Beigeschmack der Aktmalerei belegt eine Entfernung vom antiken Ideal und drückt mehr Wünsche und Projektionen des Künstlers aus. Teile des Bürgertums empfanden solches als anstößig. 

Im Laufe der Entwicklung der Historienmalerei lassen sich weitere Verschiebungen erkennen, die in der Ausstellung thematisiert werden. Der Heroismus der frühen Jahre tritt langsam zurück. Der „Neogrieche“ Jean-Léon Gérôme, der die archäologischen Forschungen seiner Zeit berücksichtigte, präsentiert junge Griechen bei der Betrachtung eines Hahnenkampfes, was manche Kritiker als Trivialisierung einstuften. Weitere Brüche innerhalb der Bildinhalte merkte man gelegentlich an. Das berühmte Gemälde „Sarpedon“ von Henri Lévy zeigt, wie der Leichnam Christi von Engeln an die Himmelspforte transportiert wird. Allerdings ist Gottvater diesmal Zeus. Die Vorrangregeln werden zunehmend undeutlich.

Zu den bekanntesten Bildern zählt Bouguereaus „Die Geburt der Venus“. Was auf den ersten Blick wie das Ideal der Schönheit aussieht, kann bei genauerem Hinschauen auch als Vorläuferin eines „Pin-up-Girls“ (Ernst Gombrich) identifiziert werden. Manche werten diesen Akt als wichtig auf dem Weg zur Überwindung der Salonkunst – gerade wegen der angeblichen Schamlosigkeit, die sich offenbart.

Jedoch darf die Salonkunst nicht pauschal als gegenwartsblind abgetan werden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird vermehrt auch das armselige Leben des einfachen Volkes in Augenschein genommen. Herausgekommen sind so einfühlsame Bilder wie das von Jean-François Raffaëlli („Die Familie von Jean dem Hinkenden, Bauer aus Plougasnou, 1876), das die verhärmten Gesichter und Hände der Menschen detailgetrau nachzeichnet. Das im Gefolge der Industriellen Revolution verursachte Elend wird jedoch von keinem der genannten Künstler näher beachtet.

Im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich die Kunstszene schnell. Sezessionisten verließen den staatlich-akademischen Kunstbetrieb. Manets „Olympia“ von 1863 ist nicht ohne den Kontext der Salonkultur denkbar. Dennoch weist die Darstellung darüber hinaus. Der Siegeszug der Impressionisten ist spätestens ab den 1860er Jahren unaufhaltsam.

Die Ausstellung ist bis zum 28. Januar in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8, in München täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 22 44 12

 www.kunsthalle-muc.de