© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

In weißem Feinripp
Lustlose Nibelungen: Der Karlsruher „Ring der Vielfalt“ wird durch die „Götterdämmerung“ vervollständigt und zerstört
Sebastian Hennig

Der deutsche Theaterbetrieb ist seit Jahrzehnten einer erprobten Liturgie unterworfen. Kritik scheint unmöglich. Denn die offenbare Talentlosigkeit weiß sich bewaffnet mit dem Nimbus der Provokation, die allerdings schon zu Zeiten der Frühmoderne weniger unwillkürliches Ereignis als kalkuliertes Machwerk gewesen ist. Die behauptete Modernität des Regisseurs wirkt als Indikator für kulturpessimistische Nörgler. Da sich kaum etwas Gutes daran bemerken läßt, wenn Stücke von talentlosen Karrieristen entstellt werden, andererseits aber jede Kritik innerhalb dieser Spielregeln unwirksam bleiben muß, indem sie die Humorlosigkeit und Verstocktheit des Rezensenten beweist, soll hier nun einmal mit kunstfrommer Grobheit veranschaulicht werden, was sich da eigentlich fortwährend ereignet.

Die Mißgeburt des modernen Regietheaters ist vor einigen Jahren an ihrem diskursiven Wasserkopf eingegangen. Der ewige Revoluzzer Christoph Schlingensief hat sein Bestes dafür gegeben. Auch er konnte allerdings nur noch etwas nachstoßen, was ohnehin schon im Fallen begriffen war. Was übriggeblieben ist, sind undisziplinierte Metaphern und ein bunter Spieltrieb, wie sie beispielsweise an Peter Konwitschnys Nürnberger „Boris Godunow“ zu bemerken waren (JF 42/16) oder in der Dessauer „Ring“-Inszenierung, die das Geschehen von hinten nach vorn abwickelte, mit „Götterdämmerung“ beginnend und mit „Rheingold“ endend.

Mit Inszenierung hat das nichts zu tun

Nun also ist Karlsruhe zu erleiden. Das russische Regie-Roulette eines „Ring der Vielfalt“ hat dort in der „Götterdämmerung“ zu einem Kopfschuß geführt. Denn jedem der vier Teile von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ war dort ein anderer Regisseur zugedacht. Diese Grundidee steht ebenfalls für den verzweifelten Spieltrieb der abgeschlagenen Nachhut des Regietheaters wie die bunte  „Walküre“-Inszenierung von Yuval Sharon (JF 10/17).

Das Publikum konnte insofern noch von dieser Unziemlichkeit profitieren, als der begleitende Unsinn die Entfaltung der Musik nicht behinderte und sie im besten Fall sogar in kleinen Details um erhellende synästhetische Kommentare ergänzte. Mit Inszenierung hat das zwar nichts zu tun, aber es überwog nicht der destruktive Furor gegen das Werk. Tobias Kratzer bringt auch nicht mehr die Kraft zur reinen Bosheit auf. Das neue Böse ist die Dummheit.

Es ist erstaunlich, daß Tobias Kratzer Theater- und Opernregie studiert haben soll. Es kann natürlich an der Hochschule liegen. Vielleicht hätte ihm dort der Hausmeister mehr dienliche Hinweise geben können als eine der verkrachten Existenzen, deren Unfähigkeit über eine C4-Professur versorgt wird. Es gehört nämlich beinahe so etwas wie ein Genie der Langeweile dazu, um im Finale der „Götterdämmerung“ Bilder zu finden, über die nicht einmal die Komplexität von Wagners aufbrandender Musik etwas hinweghelfen vermag.

In der vom Rezensenten besuchten Vorstellung gab der sehr wohlbeleibte, stimmlich aber wenig überzeugende Torsten Kerl den Siegfried; ihm gegenüber stand statt der üblichen Karlsruher Brünnhilde Heidi Melton die zierliche Nadja Michael. Kaum vorstellbar, wie diese filigrane Walküre den Siegfried mit Gunter (Armin Kolarczyk) verwechseln konnte. Welche Tarnkappe hätte das wohl vermocht? Kolarczyk war der beste Sänger des Abends. Michael konnte zwar mit einem durchaus sehr angenehmen Timbre aufwarten, jedoch hatte ihre Phrasierung etwas Schütteres und Unstetes, was den Genuß ihres samtenen und dunklen Tons verunmöglichte. 

Über die Inszenierung sei besser der Mantel des Schweigens gebreitet. Die Helden kriechen in weißem Feinripp über den Bühnenboden. Siegfried stirbt in einer Art Baumschule. Hagen ist ein Messerstecher. Am meisten anstößig ist die völlige Einfallslosigkeit der Regie und deren plumpe Disharmonie zur musikalischen Entwicklung. Völlig unvermittelt befinden sich die Sänger vor einem roten Schlußvorhang mit der Aufschrift „The End“ wieder, der sich dann ebenso unmotiviert wieder hebt.

Dramaturgische Öde, zermürbende Langeweile

Aus der zermürbenden Langeweile vermag diesmal nicht einmal die Badische Staatskapelle unter Justin Brown herauszureißen. Die dramaturgische Öde lastet so qualvoll auf allem, daß sich beinahe schon Dankbarkeit einstellt, als während Brünnhildes Finale immerhin ein schaler Witz wieder Bewegung in die Bühnenabläufe bringt. Die Nornen und Rheintöchter figurieren bei Kratzer als männliches Regie-Team, welches von Brünnhilde die Partitur aus den Händen genommen bekommt, worauf das Geschehen wie in einem verkehrt herum abgespielten Film in rückgängiger Richtung abläuft, so unpassend wie witzig.

Auf ähnliche Weise wäre zu wünschen gewesen, daß Wagners Musik dem Nichtregisseur zuletzt noch den Stab entwindet. Wem der Sinn nach besser angebrachten Albernheiten steht, der sei auf die Operette „Die lustigen Nibelungen“ von Oscar Straus verwiesen, die am Badischen Staatstheater am 15. Dezember Premiere hatte. Es ist davon auszugehen, daß die Posse von den gleichen Leuten so bierernst aufgefaßt wird, denen es geboten scheint, Wagners gefährliche dramatische Kraft zur gewöhnlichen Posse herabzuwürdigen. Einfalt ist eben auch eine Spielart der Vielfalt. Nur unter Aussparung der „Götterdämmerung“ kann zum Besuch des zu Ostern und Pfingsten 2018 als vollständigen Zyklus gegebenen Karlsruher „Ring der Vielfalt“ geraten werden.

Die nächsten Vorstellungen der „Götterdämmerung“ am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, Hermann-Levi-Platz 1, finden statt am 7. Januar, 2. April und 12. Mai. Kartentelefon: 06 21 / 16 80 150

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