© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Mathe-Nerds gesucht
Medienentwicklung: Der Datenjournalismus nimmt neue technische Herausforderungen an
Christian Schreiber

Paradise Papers“, Steuer-CDs, Snowden-Dokumente: Der Datenjournalismus hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Er entwickelte sich aus den computerbasierten Recherchen, die in den neunziger Jahren verstärkt durchgeführt wurden, und zählt ungefähr seit dem Jahr 2005 als eine Form des Online-Journalismus zum Aufgabenbereich einer Redaktion. „Der Datenjournalismus ermöglicht es explizit, unserer publizistischen Funktion gerecht zu werden. Schließlich sind wir Journalisten es, die die Autoritäten kontrollieren sollen. Dazu müssen wir auch in der Lage sein zu überprüfen, was Behörden und andere offizielle Stellen an Daten produzieren. Genau hier setzt unsere Aufgabe an“, erklärt Christina Elmer, Fachjournalistin bei Spiegel Online. 

Datenjournalismus ist dabei im Kern nicht neu. Daten, Diagramme, Karten und Visualisierungen sind Teil des journalistischen Geschäfts. Lorenz Matzat, Gründer der Agentur „Open Data City“, definiert den Begriff so: „Datenjournalismus setzt auf Datensätze nicht nur als Recherchequelle, sondern macht die Daten zum zentralen Gegenstand der Geschichte und deren Präsentation.“ Die heutigen Datenjournalisten sind dabei Experten für investigative Recherchen. „Unsere Recherchen sind daten- und dokumentengetrieben und meist investigativ“, schreibt beispielsweise der Bayerische Rundfunk auf seiner Internetseite. 

Adrian Holovaty, ein Journalist und Programmierer aus den USA, hat den neuen Trend wie folgt beschrieben: Zeitungen und andere Medien sollten sich nicht nur auf Geschichten konzentrieren. Sondern ebenfalls Informationen unter dem Aspekt betrachten, wie ihr wesentlicher Gehalt in strukturierter Form, sprich in Datenbanken abzulegen und bei aufbauenden Geschichten weiter zu verwenden ist.

Künstliche Intelligenz rückt in den Fokus

Führend auf dem Gebiet sind amerikanische und britische Journalisten, im englischen Sprachraum ist der Begriff „data driven journalism“ (DDJ) – wörtlich übersetzt: Daten-getriebener Journalismus – gebräuchlich. US-Journalist Holovaty erklärt den Mechanismus am Beispiel von Wohnungsbränden. Würde ein Lokaljournalist immer exakt festhalten, welche Art von Brand es war, wieviel Verletzte und Tote es gab, wie lange die Feuerwehr bis zum Einsatzort gebraucht hatte, entstünde so nach und nach eine Datenbank, die viel über die Arbeit der Feuerwehr verraten könnte. Da diese Datenbanken in aller Regel frei zugänglich sind, könnten Journalisten so weltweit verläßliche Erhebungen erstellen. 

Datenjournalismus ist dabei die aktive Auseinandersetzung mit einem Datensatz. Entweder mit dem Ziel, eine These mit Hilfe von Datenmaterial zu untermauern. Oder offen an einen vermeintlich interessanten Datensatz heranzugehen und mit journalistischen Kriterien nach einer Geschichte in den Daten zu suchen. 

Einer der Vorreiter ist die britische Zeitung The Guardian, die ein eigenes „Data Blog“ betreibt. Im Kern werden täglich entlang der aktuellen Meldungen weitere Recherchen durchgeführt und Daten entweder einfach veröffentlicht oder visualisiert. Simon Rogers, der das „Data Blog“ gestartet hat, verließ den Guardian im Jahr 2013, um der erste Datenjournalist bei Twitter zu werden. 

Mittlerweile haben immer mehr Verlagshäuser diese neue Form des Journalismus erkannt. Die Funke-Mediengruppe bietet seit einem Jahr ein Volontariat im Bereich Datenjournalismus an. „Datenjournalismus hat große Potentiale und ist ein fester Bestandteil im journalistischen Angebot der Berliner Morgenpost. Journalisten, die in diesem Bereich arbeiten wollen, brauchen unterschiedlichste Fähigkeiten, die wir mit dem Daten-Volontariat vermitteln werden“, sagt Carsten Erdmann, Chefredakteur der Berliner Morgenpost. Vermehrt suchen Medienhäuser Journalisten mit guten Statistik- und Mathematikfähigkeiten, die auch programmieren können. 

Auch technische Erneuerungen, wie eigens entwickelte Software (zum Beispiel das Karten- und Grafiken-Programm „Q“ der NZZ) und Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz oder Spracherkennung rücken so zunehmend in den Fokus von Redaktionen. 

Die Süddeutsche Zeitung hat – wie andere Verlagshäuser auch – mittlerweile eine eigene Redaktion gegründet, die sich SZ-Datagraph nennt. „Wo in Deutschland verpestet Feinstaub die Luft gerade am meisten?“ Oder „Wo in Europa leben die reichsten Menschen?“, nennt das Blatt beispielhafte Fragestellungen und erklärt den elementaren Unterschied. Viele Journalisten seien es gewohnt, große Datenmengen anhand von Texten zu analysieren. Datenjournalismus hingegen lasse Fakten sprechen und liefere lediglich Erklärungen dazu. Aber auch neue Anbieter wie datenfreunde.de, dossier.at und ab Mitte des Monats republik.ch beleben den deutschsprachigen Medienmarkt.