© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kein Platz für Egoismus
Peter Möller

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse können großes Kino sein. Sie gelten als das schärfste Schwert der Opposition bei der Kontrolle der Regierung. Ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen können die Gremien auf Grundlage der Strafprozeßordnung Akten von Behörden und Ministerien anfordern und sogar Kanzler und Minister zu unangenehmen Verhören vorladen. Das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit ist ihnen dabei gewiß.

Doch es gibt auch Fälle, in denen das Thema nicht geeignet ist, eine große Show zu inszenieren. Ein Beispiel hierfür waren die beiden NSU-Untersuchungsausschüsse des Bundestages, mit denen das Parlament 2012/2013 sowie 2015 bis 2017 versuchte, parteiübergreifend Versäumnisse der Behörden bei der Aufklärung der rechtsextremistischen Mordserie zu klären. Hier ging es nicht darum, dem politischen Gegner öffentlichkeitswirksam Fehler nachzuweisen, sondern darum, das Vertrauen der Bürger in den Staat, das durch die zahlreichen Pannen bei den Ermittlungen schwer erschüttert worden war, wiederherzustellen. Entsprechend beschlossen alle Parteien die Anträge zur Einsetzung der Ausschüsse gemeinsam. 

Ähnlich gelagert ist der Fall des islamistischen Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, der den Staat sogar noch stärker erschüttert hat als die NSU-Mordserie. Die Blutspur mit zwölf Toten, die der Tunesier auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche hinterließ, hat den Glauben vieler Bürger an das Sicherheitsversprechen des Staates nachhaltig erschüttert. Aus diesem Grund sind sich die Berliner Politiker mittlerweile über die Parteigrenzen hinweg einig, auch im Bundestag einen Untersuchungsausschuß einzurichten, nach dem dieses auf Landesebene bereits in Berlin und Nordrhein-Westfalen erfolgt ist. 

Anders als beim NSU scheint es allerdings fraglich, ob es einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linkspartei und Grünen geben wird. Denn Anfang Dezember haben FDP und Grüne unabhängig voneinander im Abstand eines Tages bereits jeweils einen Antrag eingereicht. Und auch in der AfD-Fraktion wird an einem eigenen Antrag gearbeitet.

Die Fragen, die ein Untersuchungsausschuß zu klären hat, liegen auf der Hand: Warum konnte der Anschlag nicht verhindert werden? Welche Erkenntnisse lagen den Behörden zu Anis Amri vor und wie wurden diese untereinander ausgetauscht? Hätte der spätere Attentäter abgeschoben werden können? Welche Erkenntnisse hatten die Nachrichtendienste und – wurde Amri als Quelle angezapft?

Die Antworten können wichtige Hinweise auf Lücken in der Sicherheitsarchitektur geben und helfen, weitere Anschläge zu verhindern. In Berlin wird daher mit Spannung beobachtet, ob es den Fraktionsführungen nun hinter den Kulissen doch noch gelingt, einen gemeinsamen Antrag auszuhandeln. Denn alle Beteiligten wissen, daß die jetzt schon offensichtlichen Versäumnisse der Behörden im Fall Amri bei der Bevölkerung für Unbehagen sorgen. Niemand dürfte ein Interesse daran haben, dieses Gefühl durch einen parteipolitischen Streit noch zu verstärken. Doch die Zeit drängt.