© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Kein roter Teppich für Pegida
Dresden: Dem Stadtoberhaupt sind die Demonstrationen ein Dorn im Auge / Ein Gutachten ermutigt zu „symbolischen Blockaden“
Paul Leonhard

Wie einst Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (SED) sind auch Dirk Hilbert (FDP) die traditionellen Montagsdemonstrationen unzufriedener Dresdner ein Dorn im Auge. Aus seiner Sicht schaden sie dem Ruf der sächsischen Landeshauptstadt, und gemeinsam mit der linken Stadtratsmehrheit läßt er nichts unversucht, Pegida zu verunglimpfen. Ein ganzes Maßnahmepaket zur „Rückgewinnung öffentlicher Plätze für die Stadtgesellschaft“ hat Hilbert daher im April geschnürt. Unter der Bezeichnung „Dresden.Respekt“ werden Programme wie „Wir entfalten Demokratie“ und „Lokales Handlungsprogramm für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden“ intensiviert und mit einer halben Million Euro aus zusätzlichen Steuereinnahmen finanziert. 

Davon waren 53.000 Euro für ein externes Gutachten zum Versammlungsrecht vorgesehen, mit einer sehr speziellen Aufgabenstellung: Welche Möglichkeiten bestehen abstrakt, die Durchführung von Versammlungen unter freiem Himmel zu beschränken, wollten Oberbürgermeister und Stadtrat erläutert bekommen. Und wurden noch deutlicher: Können genehmigte Sondernutzungen Demonstrationen entgegenstehen, inwieweit sind ökonomische Interessen von ansässigen Gewerbetreibenden zu schützen, ergeben sich im Rahmen von Kooperationsgesprächen weitergehendere Einflußmöglichkeiten als in förmlichen Bescheiden? Wie ist die Lage bei Demonstrationen, die von vornherein auf eine große Zahl von Wiederholungen von Versammlungen in ähnlicher Form und/oder Inhalt ausgelegt sind und welche Aktenlage ist erforderlich, damit einzelne – isoliert betrachtet nicht der Versammlung zurechenbare – Störungen und Auflagenverstöße aufgrund ihrer Häufigkeit über einen Zeitrum von zwei Jahren eventuell doch der Versammlung zugerechnet werden können?

Das alles zielte ganz eindeutig allein auf Pegida. Und deren Organisatoren sprachen dann auch von Versuchen des Oberbürgermeisters, das „Grundgesetz auszuhebeln“, indem er das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einschränken und den „Protest der Bürger auf der Straße“ verhindern wolle.

Die Dresdner Versammlungsbehörde wiederum sah sich in der Vergangenheit permanent von Linken, SPD und Grünen sowie den mit diesen Parteien kooperierenden linksextremen Vereinen dem Vorwurf ausgesetzt, Pegida den „roten Teppich auszurollen“, nichts gegen deren Versammlungen in der Innenstadt zu unternehmen und Proteste gegen Pegida zu behindern.

Ein streng neutrales und weitgehend korrektes Verhalten bescheinigt jetzt das von Oberbürgermeister Hilbert in Auftrag gegebene Gutachten der Versammlungsbehörde. Allerdings gibt es auch herbe Kritik: Pegida-Hauptorganisator Lutz Bachmann dauerhaft Auftritte als Versammlungsleiter zu verbieten, sei ebenso nicht durch geltendes Recht gedeckt wie das Verbot einer Pegida-Kundgebung 2016 auf dem Neumarkt und die angeordnete Verlegung einer weiteren Pegida-Veranstaltung an einen anderen Ort, heißt es in dem von den Juristen Professor Ralf Poscher von der Albert-Ludwig-Universität Freiburg und Michael Kniesel, früherer Polizeipräsident in Bonn, angefertigten Gutachten.

Für ersteren ist Dresden kein unbekanntes Pflaster. Er trat schon mehrfach als Sachverständiger in versammlungsrechtlichen Fragen vor dem Landtag auf und vertrat 2010/11 die Fraktionen der Linken, Grünen und SPD bei einem Normenkontrollantrag, der letztlich zu einer Neufassung des sächsischen Versammlungsgesetzes führte.

Poscher, der also seine Pappenheimer kennt, gibt diesen auf den Weg, daß sich „versammlungsrechtliche Entscheidungen nicht am politischen Mehrheitswillen orientieren“ dürfen. Die Versammlungsbehörde könne eben nicht „mit etwas gutem Willen ‘Entscheidungsspielräume’ nutzen und durch eine ‘demonstrationsfreundliche’ Bescheidungspraxis der Gegendemonstrationen und eine ‘demonstrationsunfreundliche’ der Pegida-Versammlungen die ausbleibende oder unzureichende politische Auseinandersetzung ersetzen“, schreibt er. Gerade weil die Versammlungsfreiheit für den politischen Willensbildungsprozeß unverzichtbar sei, müsse die Behörde diese als solche schützen und nicht nur diese bestimmter politischer Gruppen.

Solange Pegida nicht als rechtsextremistisch oder gar verfassungsfeindlich verboten werde, so Kniesel, der einst für die polizeiliche Absicherung bedeutender Versammlungen in Bonn zuständig war, dürfe sie an jedem gewünschten Ort Versammlungen durchführen. „Die Behörde muß dann schon sehr gute Gründe haben, dies zu untersagen“, attestiert Poscher.

Stadtverwaltung fühlt sich durch Gutachten bestätigt

Die Gutachter geben ihrem Auftraggeber aber auch einige Tips, wie gegen mißliebige Veranstaltungen protestiert werden kann. So sollte der Oberbürgermeister der (Landes-)Polizei die Zuständigkeit für Versammlungen übergeben. Dann könnte sich dieser als kommunaler Wahlbeamter stärker positionieren und müsse weniger Rücksicht darauf nehmen, zugleich als Oberbürgermeister erster Dienstvorgesetzter der Versammlungsbehörde zu sein. Auch müßte die Behörde sowohl Gegenproteste in Hör- und Sichtweite als auch symbolische Blockaden zulassen, wenn diese nicht länger als zehn bis 15 Minuten dauern und die eigentliche Versammlung nicht ernsthaft stören.

Während sich die Stadtverwaltung in ihrem Handeln von dem Gutachten bestätigt fühlt, ist die Enttäuschung bei den Linken groß. Die Rechtmäßigkeit von Veranstaltungen trete in den Hintergrund, „wenn auf der Straße Nazi-Aufmärsche und zivilgesellschaftlicher Protest ungleich behandelt werden“, bekundet Linken-Fraktionschef André Schollbach wohl mit Blick auf die Auseinandersetzungen um den 13. Februar, den Gedenktag an den Bombenangriff auf Dresden 1945, sein Demokratieverständnis.