© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Kurzer Prozeß mit Radikalen
Schweden: Die Führung der rechtskonservativen Schwedendemokraten will die rechte Ecke verlassen
Christoph Arndt

Die Asylkrise, die mit der Grenzöffnung der Regierung Merkel im September 2015 begann, die jedoch auch einen wesentlichen Auslöser in der lockeren Asylpolitik der zweiten Regierung des Konservativen Fredrik Reinfeldt in Schweden („Öffnet eure Herzen“) hat, brachte vielen rechtskonservativen Parteien europaweit deutliche Stimmgewinne. Ein Hauptgewinner waren die Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna, SD). Sie konnten ihre Umfragewerte auf etwa 15 Prozent in der Hochphase der Asylkrise bis Ende 2016 steigern und kamen im Sommer 2017 auf Werte von 18 bis 20 Prozent. 

Doch innerparteiliche Querelen sorgen immer wieder für Schlagzeilen, so daß die Umfragewerte im Spätherbst 2017 wieder in Richtung 15 bis 16 Prozent fielen. Zwei aktuelle Vorfälle trugen hierzu bei und erforderten akutes Krisenmanagement seitens der Parteiführung.

Politische Isolation soll durchbrochen werden

So hielt der Kommunalpolitiker Martin Strid auf dem Parteitag der Schwedendemokraten am vierten Novemberwochenende eine direkt übertragene Skandalrede, in der er einige Muslime als nicht vollwertige Menschen auf einer Skala darstellte. Strid wurde am selben Abend vom Parteitag ausgeschlossen, und die Parteiführung kündigte ein Eilausschlußverfahren an. Diesem kam Strid jedoch mit seinem Austritt zuvor. Die eigentlich auf dem Parteitag durchgeführte Debatte über die Strategie zur Reichstagswahl im September trat zum Entsetzen von Parteichef Jimmie Åkesson in den Hintergrund.

Zuvor war bereits der Reichstagsabgeordnete Pavel Gamov gegen den Willen der Fraktions- und Parteiführung nach Moskau gereist, um sich dort mit russischen Vertretern zu treffen. Die unabgesprochene Reise veranlaßte die Parteiführung, ein Ausschlußverfahren anzudrohen, sofern Gamov sein Mandat nicht niederlege. Der in Moskau geborene 28jährige erklärte daraufhin seinen Austritt aus Fraktion und Partei.

 In beiden Fällen konnte die Partei sich schnell von extremen Vertretern trennen, da der einem deutschen Parteischiedsgericht ähnliche Mitgliederausschuß (medlemsutskottet) Parteimitglieder bei Dringlichkeit innerhalb von 48 Stunden ausschließen kann. Dies hilft den Schwedendemokraten bei Skandalen, schnell zu reagieren. Für die Partei- und Fraktionsvorsitzenden Jimmie Åkesson und Mattias Karlsson lebenswichtig, denn sie streben nach den Reichtagswahlen am 9. September 2018 eine Zusammenarbeit mit der größten etablierten bürgerlichen Partei (Moderaterna) an. 

Die Skandale um Strid und Gamov sind nicht die ersten, bei denen die Parteiführung Mitglieder und Abgeordnete sanktionierte, um die Partei aus ihrer Isolation zu führen. Bisher agierten die anderen Parteien mit einer Ausgrenzungsstrategie, wie etwa der Dezemberübereinkunft von 2014 (Decemberuppgörelsen), wonach die Mandate der SD nicht für eine Regierungsbildung zählen. 

Dies ermöglichte die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung, obwohl alle bürgerlichen Parteien, inklusive SD, über eine parlamentarische Mehrheit verfügen. Zudem gab es bis vor kurzem keinerlei formelle Kooperation mit Moderaterna. 

In Anbetracht dessen sind Sverigedemokraterna  seit 2014/15 dazu übergegangen, zu radikale oder wiederholt unseriös auftretende Mitglieder auszuschließen oder zu suspendieren (Auftrittsverbote). 

Berühmtester Fall ist Kent Ekeroth, ein Abgeordneter und Parteifunktionär, der in der Aufbauphase der Partei eine wichtige Rolle spielte. Als Vertreter des radikalen und islamkritischen Flügels der Partei ist er äußerst beliebt bei Teilen der Basis und war an der Erstellung des Parteiprogramms beteiligt, mit dem die Partei 2010 zum ersten Mal die Vierprozenthürde bei einer Parlamentswahl überschritt. Ekeroth war auch eine zentrale Figur beim Aufbau der parteinahen, aber nicht unumstrittenen Internet-Plattform Avpixlat.se, die seit September unter dem Namen Samhällsnytt (Gesellschaftsnachrichten;  samnytt.se) firmiert.  

 Parteiführung will neue Wählerschichten ansprechen 

Der Einsatz Ekeroths in der Aufbauphase war aber stets mit Undiszipliniertheiten und extremen Aussagen  verbunden. So warf Ekeroth den Muslimen vor, verantwortlich für das Bombenattentat Anders B. Breiviks in Oslo zu sein. Zudem war Ekeroth Ende 2016 an einem Handgemenge vor einer Bar in Stockholm beteiligt. Ekeroths Verständnis von Parteidisziplin zeigte sich auch 2014 bei der Beförderung der als gemäßigt geltenden Abgeordneten Paula Bieler anstelle Ekeroths seitens der Parteispitze. Ekeroth reagierte in einer an die Öffentlichkeit gelangten E-Mail an den damaligen Generalsekretär Björn Söder: „Die Leute wollen mich sehen – nicht sowas wie Paula, mach jetzt mein eigenes Ding“ (Expressen). 

Gerade schwedische Kommentatoren verwiesen auf das Dilemma für die Parteiführung um Åkesson, Karlsson und den Generalsekretär Richard Jomshof. Ekeroth schade dem öffentlichen Ansehen der Partei massiv und mache eine etwaige Zusammenarbeit mit Moderaterna unmöglich, sei andererseits aber bei dem radikalen Teil der Parteibasis und in den sozialen Netzwerken beliebt, was einen Ausschluß mit Risiken an der Wahlurne verbinde, da Parteiaktivisten die Arbeit einstellen würden. Die Parteiführung ging seit der zweiten Jahreshälfte 2016 entsprechend dazu über, Ekeroth zu isolieren. Ein Ausschluß wurde für den Fall einer rechtlich nachweisbaren Beteiligung Ekeroths an dem Handgemenge in Stockholm angekündigt. 

Zur endgültigen Kulmination der Skandale Ekeroths kommt eine weitere Affäre um eine SD-Abgeordnete, Anna Hagwall, zum Jahreswechsel 2017. Die Reichstagsabgeordnete Hagwall hatte verklausuliert gefordert, daß keine „ethnische Gruppe“ mehr als fünf Prozent der schwedischen Medien kontrollieren dürfe (Aftonbladet). Hagwall wird unmittelbar danach aus Fraktion und Partei ausgeschlossen, Ekeroth im Februar 2017 suspendiert und de facto mit einem Auftrittsverbot belegt. Die Parteispitze um Åkesson und Karlsson agierte in beiden Fällen geschlossen – ungeachtet der Popularität Ekeroths an der Basis und der damit oft verbundenen Kritik, die Partei würde sich zu sehr Moderaterna anbiedern. 

Eine offene Frage ist, wie sich die Versuche der Parteiführung auswirken, die Partei auf weiteren Themenfeldern aufzustellen. Åkessons Rede auf der Almedalen 2017 ging in dieser Hinsicht  vor allem auf die Bedingungen im Gesundheitssystem und der Altenpflege ein. Diese Themenfelder, die bis jetzt nicht besonders mit der Partei in Verbindung gebracht wurden, sollen weitere Wählerschichten, speziell die Frauen, erreichen und auch helfen, das Image der Partei weiter zu verbessern.