© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Zeit, sich neu zu erfinden
Frankreich: Republikaner und Front National müssen auf „Napoleon“ Macron reagieren / Gerangel um die rechte Mitte
Friedrich-Thorsten Müller

Die Tageszeitung Le Figaro übertreibt nur wenig, wenn sie die politischen Umwälzungen des Jahres 2017 in Frankreich mit dem „Urknall“ vergleicht. Es ist ohne Frage ein beispielloses politisches Husarenstück, das Emmanuel Macron als vorherigem sozialistischen Wirtschaftsminister unter François Hollande mit seinem Durchmarsch zu Präsidentschaft und parlamentarischer Mehrheit gelungen ist. 

Gleichwohl war dies Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit der Franzosen mit ihrer „Classe politique“. Es war eine Antwort auf zwei Jahre islamistischen Terror mit über 200 Toten, auf steigende Kriminalität und bis dahin schon ein Jahr Ausnahmezustand. Vor allem aber suchten die Franzosen im Wahljahr 2017 einen Ausweg aus der gesellschaftlichen Desintegration durch den wirtschaftlichen Niedergang des Landes mit schwindender Kaufkraft und Massenarbeitslosigkeit.

Zwar ist es – bei schwankenden Umfragewerten für Macron – noch zu früh, um beurteilen zu können, ob Macron die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Viele, wie der Journalist Jean-Dominique Merchet, trauen ihm in Anlehnung an Napoleon weiterhin einen „neuen Bonapartismus“ zu, der Frankreich komplett umkrempeln könnte. 

Unabhängig vom langfristigen Ergebnis ist aber der Veränderungsdruck, der vom Erfolg von LREM (La République en marche) ausgeht, für alle anderen Parteien enorm. Denn Macron gelang es sehr geschickt nicht nur die linke, sondern auch weite Teile der rechten politischen Mitte für sich einzunehmen. Und das als klare, wirtschaftsliberale und EU-freundliche Antithese zu den von Sozialisten und Republikanern angeführten, bis dahin vorherrschenden Lagern. 

Diese hatten zuletzt ihr Heil eher im Kopieren von planwirtschaftlichen oder einwanderungs- und europakritischen Positionen von extremer Linke und Front National gesucht und scheinen diesen Kurs trotz der Niederlage noch verstärken zu wollen.

Viele Repubikaner hadern mit der Neuausrichtung 

Besonders augenfällig wird dies in der Partei der früheren Präsidenten Chirac und Sarkozy, bei den Republikanern. Gebeutelt von dem Nicht-Rücktritt François Fillons als Präsidentschaftskandidat nach dessen Scheinbeschäftigungsaffäre verpaßten sie nicht nur den Einzug in die Stichwahl um das Präsidentenamt, sondern verloren auch 40 Prozent ihrer Abgeordneten-Mandate. Nach dem sang- und klanglosen Rückzug Fillons von der Fraktionsspitze wählten die Konservativen im Dezember den 42jährigen rechten Hardliner und Sarkozy-Zögling Laurent Wauquiez auf den Posten des seit über einem Jahr vakanten Parteivorsitzes. 

Der Präsident des Regionalrats Auvergne-Rhône-Alpes (vergleichbar etwa einem Ministerpräsidenten in Deutschland) steht dabei für den Rückbau der EU, einen schlankeren Staat, aber auch für einwanderungskritische Positionen, wobei er sich für eine „deutliche Aussprache“ entschieden hat, „um das Land wachzurütteln“, wie er sagt. 

Eine Positionierung also eher in Konkurrenz zu Marine Le Pens Front National, als mit dem Ziel der Rückgewinnung von LREM-Wählern und Mitgliedern. Tatsächlich haben die Republikaner nicht nur viele Stimmen, sondern auch exponierte Politiker an Macron verloren, so den heutigen Premier Édouard Philippe, und auch mehrere Minister, wie Bruno Le Maire oder Sébastien Lecornu. 

Nicht wenige Republikaner halten diese Ausrichtung für einen Fehler. Der  Präsident des Regionalrats von Hauts-de-France, Xavier Bertrand, hat darum die Partei nach Wauquiez’ Wahl zum Vorsitzenden unter Protest verlassen und möchte 2022 selbst Präsidentschaftskandidat werden. Andere organisieren sich im Bündnis „Agir – Konstruktive Rechte“, das sich nach der Wahl Wauquiez’ als Partei zwischen LREM und Republikanern etablieren möchte.

Aber auch für den Front National (FN) sind trotz des großen Erfolgs in der Stichwahl um das Präsidentenamt mit nie dagewesenen 33,9 Prozent durch Macron und den „Ideenraub“ der Republikaner härtere Zeiten angebrochen. 

Le Pen propagiert gar eine Neugründung 

Marine Le Pen wird im Mehrheitswahlrechts-Land Frankreich mit weiterhin nur sechs FN-Abgeordneten in der Nationalversammlung klar, daß man mit der aktuellen Ausrichtung der Partei an die Grenzen der Entwicklungsmöglichkeiten gelangt sein könnte. Auch hat sie als Parteivorsitzende viel von ihrem Nimbus eingebüßt und konnte nur durch formale Hürden zwei Gegenkandidaturen um den Parteivorsitz verhindern. 

Sie hat darum zur Stärkung ihrer Legitimation im vergangenen Herbst per Fragebogen einen Wettbewerb zur Neuausrichtung der Partei ins Leben gerufen. Dieser soll nach ihren Vorstellungen im März bei einem Parteitag im nordfranzösischen Lille in nicht weniger als eine förmliche „Neugründung“ der Partei münden. 

Auch der bisherige Parteiname soll  kein Tabu sein. Eine „weichere“ Positionierung zum Beispiel beim Euro, die erstmals zwischen den beiden Präsidentschaftswahlgängen spürbar wurde und zum Zerwürfnis Le Pens mit ihrer einstigen rechten Hand Florian Philippot führte. Dieser hat inzwischen unter dem Namen „Patrioten“ eine noch weiter rechts stehende Partei gegründet, die 2019 bei der Europawahl kandidieren möchte. Nach eigenen Angaben hat sie nur wenige Wochen nach der Gründung 6.000 Mitglieder, darunter aber nur wenige bisherige FN-Mandatsträger.

Der mit 4,7 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen sechstplazierte rechte Kandidat Nicolas Dupont-Aignan kommentierte die Lage darum so: „Weder Le Pen, Wauquiez noch Philippot werden alleine gewinnen können. Nur eine Union der Rechten kann zum Erfolg führen.“