© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Immer auf der richtigen Seite
Die Toten Hosen: In seinem Vertrauen auf Angela Merkel bleibt Campino vor allem sich selber treu
Georg Ginster

Allzuviel Zeit, sich mit Politik zu befassen, dürfte Andreas Frege in den 35 Jahren seines fordernden Berufslebens nicht gehabt haben. Als Sänger und Vorturner der Band Die Toten Hosen hat er unter dem Künstlernamen Campino Tausende Konzerte absolviert und der deutschen Kultur auch in den entlegensten Regionen des Erdballs eine Stimme verliehen. Nebenbei galt es, das Repertoire der Künstler auf unterdessen 16 Studioalben zu bannen, und das kleine, aber feine, von der Wirtschaftswoche als kaufmännisch vorbildlich geadelte Firmenimperium zur Vermarktung von Marke und Musik dürfte ebenfalls so manche Arbeitsstunde beansprucht haben.

Die wesentlichen politischen Grundbegriffe sind Andreas Frege dennoch geläufig. Er weiß, daß unsere Zivilisation durch Rechte, man kann sie auch Nazis nennen, bedroht ist und insbesondere ein prominentes Vorbild der Jugend wie er ihnen hin und wieder die Stirn bieten muß. Doch darf man nicht verzagen, schließlich gibt es – Frege ist weder Pessimist noch Zyniker – das Gute in der Welt, an dem man sich aufrichten kann. In Deutschland wird es unter anderem durch die Grünen verkörpert. Als Frege 1983 sein Abitur ablegte, waren sie gerade erstmals in den Deutschen Bundestag eingezogen. Ihre Etablierung als parlamentarische Größe und moralische Instanz haben sie auch ihm als einem ihrer Stammwähler zu verdanken.

Der politische Klimawandel, der dadurch angestoßen wurde, ist Frege nicht entgangen. Er erlaubt es ihm, sogar die Bundeskanzlerin als mächtigste Repräsentantin der Staatsautorität mit einer unvoreingenommenen Gelassenheit zu würdigen, die jemandem, dem nachgesagt wird, ein Punkrocker zu sein, noch vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wäre.

Mit Angela Merkel hat er sich allerdings bereits auseinandergesetzt, als sie noch weit davon entfernt war, mit farbenfrohen Hosenanzügen und Vaginalraute stilbildend zu werden. Während eines kurzen Ausflugs in den Journalismus – überraschende Grenzüberschreitungen gehören für so manchen Künstler nun einmal zum Pflichtprogramm, um im Gespräch zu bleiben – interviewte er 1994 die damalige Jugendministerin im Kabinett Kohl für den Spiegel. Frege, zu diesem Zeitpunkt immerhin auch schon Ü30, spielte artig den Campino und glänzte mit jener leicht rotzigen Idiotie, die heute auf den einschlägigen, von lässigen Pickelgesichtern betriebenen Youtube-Kanälen fortlebt.

Kohls Mädchen ließ sich dadurch aber nicht aus der Fassung bringen und konterte mit entwaffnender, den mit DDR-Sozialisation in der Bundesrepublik gestrandeten Politikern dieser Tage eigenen Unbekümmertheit. Ließ Freges Zurückhaltung, die kesse Tonlage des Dialogs bis zum Affront zu steigern, schon damals einen gewissen Respekt vor Merkel durchschimmern, so drückt er ihn heute offen aus. „Wenn mir Frau Merkel auf der Straße begegnen würde, würde ich zu ihr gehen und mich bedanken“, erklärte er bereits Ende April vorigen Jahres in einem Interview mit der Musikzeitschrift Rolling Stone. 

Kurz darauf fragte er in einem Interview in der Welt mit Blick auf Merkel: „Würde jemand diesen Job zur Zeit besser machen?“ Eine Woche später legte er in der Talkshow „Markus Lanz“ nach. Daß Merkel sich in der Flüchtlingspolitik einer Obergrenze widersetze, nötige ihm Respekt ab, sagte Campino. Und in einem Gespräch mit dem Radiosender FFN forderte er die Kanzlerin nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen explizit zum Durchhalten auf. „Diese Person auszutauschen, das wäre für mich das Zeichen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich selber zerlegen möchte.“

Zwar versuchte Frege in weiteren Interviews, die durch diese aufsehenerregende Botschaft angestoßen worden waren, dem Eindruck entgegenzutreten, er wäre auf seine alten Tage zum Unterstützer der Christdemokraten mutiert. Im Kern blieb er jedoch bei seiner Aussage. Die ganze Welt, so seine staatsmännische Lageanalyse, suche heute nach Halt und Beständigkeit. Europa drohe auseinanderzubrechen. Überall regten sich Nationalisten und Separatisten, die zwar eine unheilvolle Allianz vortäuschten, doch sogleich wie Raubtiere übereinander herfallen würden, ließe man sie erst einmal an die Macht kommen. Diesen beängstigenden Entwicklungen stelle sich Deutschland als letzter Pfeiler der Stabilität entgegen. „Wenn ich Menschen aus England oder Amerika treffe, dann sind die beeindruckt von der Position, die die Bundesrepublik gerade einnimmt, und auch von der Regierung, wie sie Haltung zeigt.“

Freges Elogen auf Angela Merkel als Bekehrung oder gar Verrat an den ursprünglichen Idealen der Punkbewegung, welche immer dies auch gewesen sein mögen, zu deuten, zeugt jedoch von einem doppelten Mißverständnis. Zum einen sind es nicht neue Einsichten, sondern die Verhältnisse selbst, die ihn dazu nötigen, sich so zu positionieren. In Freges eigenen Worten: „Wir haben in der Bundesrepublik aber auch eine Regierung, die gerade nicht als feindliche Seite auszumachen ist. Das war für uns in den achtziger Jahren anders.“

Zum anderen stellte es nie mehr als eine Halbwahrheit dar, die Toten Hosen als eine Punkband zu verorten. In den frühen 1980er Jahren war es zumal in Düsseldorf zwar kaum möglich, sich dem Einfluß des Spektakels zu entziehen, das diese aus England ins brave Deutschland herübergeschwappte Subkultur für einen kurzen Augenblick bot. Die Toten Hosen waren in der Adaption ihrer Impulse allerdings von Anfang an sehr wählerisch. Die destruktive Manier des Punk, seine unkontrollierte Aggressivität und seine prinzipielle Verachtung jeglicher Grundsätze, Konventionen und Tabus machten sie sich nie zu eigen. Daher spielten sie, anders als andere Bands dieser Zeit, auch nicht mit NS-Ästhetik oder gar NS-Symbolen. Die dunkle Seite des Punk überließen sie Zynikern wie der Band Die Ärzte oder Skinhead-Gruppen. Das Bedürfnis, sich nach heutigem Verständnis politisch unkorrekt zu äußern, scheinen sie nie verspürt zu haben.

Spaß hatten sie hingegen an harmlosen Obszönitäten, wie sie Pubertierenden in ihrer unbeholfenen Art halt durch den Kopf schießen, einem augenzwinkernd provokanten Habitus und schräger Verkleidung, an der sich aber niemand stoßen konnte, weil die kommerziellen Epigonen der Neuen Deutschen Welle bei ihren Auftritten in Dieter Thomas Hecks Hitparade letztlich auch nichts anderes trugen.

Vor allem haben die Toten Hosen jedoch dem Punk zu verdanken, daß er ihnen den Mut gab, es als musikalische Dilettanten einfach einmal zu versuchen. Niemand wird in Abrede stellen wollen, daß sie im Laufe ihrer Karriere lernten, ihre Instrumente zu beherrschen. Die Simplizität ihrer Lieder ist aber bis heute ihr Markenzeichen. Es sind Songs, die jeder schnell mitsingen kann, wozu die Band bei Live-Auftritten ihr Publikum auch ständig ermuntert.

Wo sie überhaupt einen Exzeß zulassen, ist es der Alkohol als Mittel, den Ausbruch aus dem grauen Alltag zu wagen und Freundschaftsbande zu knüpfen. Dies machte und macht sie anschlußfähig an Menschen jeden Alters, die gern einmal über die Stränge schlagen, ohne sich deshalb gleich als Punk ausgeben zu müssen. Wenn die Musikhistoriker von morgen den Stellenwert der Toten Hosen bestimmen wollen, werden sie wahrscheinlich festhalten, daß sie eine Renaissance des Saufliedes, das schon fast im Orkus des Spießertums zu verschwinden drohte, eingeläutet haben. Die politische Bekenntnislyrik, mit der die Band ihrer Fangemeinde Momente guten Gewissens beschert, bevor weitergefeiert wird, dürften sie jedoch eher unter „ferner liefen“ einordnen, da diese in der Popgeschichte der Bundesrepublik beileibe kein Alleinstellungsmerkmal darstellt.

In den 35 Jahren ihres Wirkens gibt es kaum ein Thema, zu dem die Toten Hosen sich nicht auf der richtigen, das heißt der durch die öffentliche Meinung vorgegebenen Seite positioniert hätten. Ein Grund, sich über sie zu echauffieren oder sie in Jan-Böhmermann-Manier herabzuwürdigen, ist dies nicht.

Allerdings müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht durch ihre mitunter sehr hausbackenen und hölzernen Wortmeldungen das, wofür sie sich einsetzten, letztendlich der Lächerlichkeit preisgegeben haben. Andreas Frege, der mit seinen 55 Jahren Anflüge von Altersweisheit und Heimatverbundenheit nicht länger verstecken möchte, dürfte um eine Antwort nicht verlegen sein. Ihn berührt es nicht, und hier blitzt dann doch ein klein wenig Punk auf, wenn er vielen Menschen auf die Nerven geht. Der Vorwurf des Anachronismus prallt an ihm ab. Punk war schon tot, bekannte er im SZ-Magazin, als die Band gegründet wurde. „Im Grunde waren Die Toten Hosen immer hintendran.“ Vielleicht gilt dies ja auch für die Hoffnungen, die er auf Angela Merkel setzt.