© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Im finalen Stadium
Vertriebene: Das Pommern-Zentrum und die „Pommersche Zeitung“ gehören der Vergangenheit an
Thorsten Hinz

Das Pommern-Zentrum in Lübeck-Travemünde ist endgültig Geschichte. Im Oktober 2017 meldete der Pommersche Zentralverband, der die wirtschaftlichen Aktivitäten der Landsmannschaft organisiert, seine Insolvenz an. Gleichzeitig stellte die Ostsee-Akademie, das Herzstück des Campus, ihre Tätigkeit ein. Zu Weihnachten verabschiedete die Pommersche Zeitung (PZ) sich nach 67 Jahren von der Leserschaft, und am 30. Dezember schloß das Restaurant „Vineta“ für immer seine Türen. Lediglich die mit Spendengeldern erbaute Versöhnungskirche, die einer eigenen Stiftung gehört, verbleibt in der Hand der Landsmannschaft.

Die amtierende Sprecherin, die 80jährige Margrit Schlegel, verkündete zwar in den letzten PZ-Nummern immer wieder, daß die Arbeit fortgesetzt würde, doch klang das eher trotzig als überzeugend. Die jahrelange Agonie der Pommerschen Landsmannschaft (PLM), die neben den Schlesiern, Sudetendeutschen und Ostpreußen zu den großen unter den Vertriebenenorganisationen gehörte, ist ins finale Stadium getreten.

Kampf um die Leitung der Ostsee-Akademie

Das Pommern-Zentrum war 1988 durch den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, dem Patenland der Pommern, übergeben worden. Der Sprecher der Landsmannschaft war damals der CDU-Politiker Philipp von Bismarck. Neben der Akademie, dem Restaurant, einer Bierkneipe und Kantine umfaßte der Komplex die Bundesgeschäftsstelle, die Redaktion der PZ, den Buchversand sowie zahlreiche Gästewohnungen und Appartements für Senioren. Später wurden die Versöhnungskirche und ein Gedächtnishain fertiggestellt.

Im Rückblick sieht man deutlicher, daß die Harmonie des Anfangs auf einem Mißverstehen beruhte. Kanzler Willy Brandt hatte anläßlich der Ostverträge 1970 noch versichert, die Akzeptanz der Oder-Neiße-Linie „bedeutet nicht, daß wir Unrecht anerkennen oder Gewalttaten rechtfertigen. (Sie) bedeutet nicht, daß wir Vertreibungen nachträglich legitimieren.“ Auch ließe „die Geschichte des deutschen Ostens“ sich „nicht willkürlich umschreiben“. Doch genau das sollte bald eintreffen. Unter dem Schlagwort „Versöhnung“ wurde es bald üblich, die Vertreibung moralisch und historisch zu rechtfertigen.

Das zweite Mißverständnis bezog sich auf den regierungsamtlichen Vorbehalt, daß die deutsche Ostgrenze endgültig erst durch die friedensvertragliche Regelung mit einem gesamtdeutschen Souverän festgelegt werden könne. Für sämtliche Bundesregierungen bedeutete das lediglich das Beharren auf der gültigen Rechtslage, auf deren Basis auch die Wiedervereinigung mit der DDR gefordert und schließlich vollzogen wurde. Viele Vertriebenenvertreter legten die Formel hingegen so aus, als könnten die Ostgebiete noch Gegenstand künftiger Verhandlungen sein.

Es waren Illusionen, an die man sich klammerte. Der 1990 abgeschlossene Zwei-plus-Vier- und der deutsch-deutsche Einigungsvertrag wischten sie vom Tisch. Die Orientierungskrise und verbandsinternen Spannungen, die sich daraus ergaben, entluden sich im Konflikt um die Ostsee-Akademie, die mit ihren international besetzten Konferenzen und Publikationen als Schaufenster und auswärtiger Akteur der Landsmannschaft agierte. Kritiker aus der Verbandsführung warfen ihr vor, sich mit der „Versöhnungsarbeit“ dem Zeitgeist anzudienen und Kompromißbereitschaft mit Prinzipienlosigkeit zu verwechseln.

2001 wurde dem Akademieleiter Dietmar Albrecht gekündigt. Begründet wurde das mit finanziellen Unregelmäßigkeiten. Albrecht bewertete seine Entlassung als politischen Akt und mobilisierte damit eine breite Unterstützung aus Politik, Medien und Kultur. Durch die Landsmannschaft ging ebenfalls ein tiefer Riß. Zwei ehemalige – darunter Philipp von Bismarck – und sogar der amtierende Sprecher stellten sich gegen den eigenen Verband. Sie befürchteten, daß die Landsmannschaft sich mit Albrechts Entlassung und einer Neuausrichtung der Akademiearbeit völlig isolieren würde. Tatsächlich war dieser Kampf nicht zu gewinnen und leitete ihre Agonie ein.

In der juristischen Auseinandersetzung konnte die PLM zwar die Verfügung über die Akademie und die Immobilie behaupten, doch die 1,2 Millionen Euro jährlicher Subventionen von Bund und Land, die ihren Unterhalt sicherte, wurden gestrichen und auf die neugegründete, von Dietmar Albrecht geleitete Academia Baltica übertragen. („Geschichtsmoral auf faulen Grundlagen“, JF 37/01) Die Mitarbeiter der Ostsee-Akademie mußten daraufhin entlassen werden, ihre Aktivitäten schrumpften auf heimatkundliches Niveau. Die Erwartung, die monatlichen Betriebskosten in sechsstelliger Höhe durch die Vermietung von Tagungsräumen abzudecken, erfüllten sich nicht, weil potentielle Interessenten jetzt vom Ruch der Rechtslastigkeit abgeschreckt wurden.

Einen möglichen Ausweg zeigte das Angebot der Hansestadt Stralsund auf, der Landsmannschaft unentgeltlich ein Haus in der Altstadt zur Verfügung zu stellen. Da die Academia Baltica zu der Zeit händeringend nach einem eigenen Gebäude suchte, hätte das Pommern-Zentrum – diplomatisches Geschick vorausgesetzt – sich als Faustpfand für einen Interessensausgleich geeignet. Mit der Wiedervereinigung war der Standort an der Lübecker Bucht ohnehin zum Anachronismus geworden, denn der Schwerpunkt pommerscher Kultur- und Traditionspflege lag jetzt in Vorpommern. 1992 bereits hatten die Planungen für das Pommersche Landesmuseum in Greifswald begonnen, das 2005 eröffnet wurde. Mit dem Umzug hätte außerdem ein konzeptioneller Neuanfang einhergehen müssen, denn die personelle Basis für die Vertriebenenarbeit schmolz unaufhaltsam dahin.

Nachdrucke aus alten Zeitungen und Büchern

Die Landsmannschaft aber hielt am Pommern-Zentrum fest, das sich immer mehr als Mühlstein am Hals erwies und zur permanenten Selbstbeschäftigung zwang. Darüber wurden das Mögliche und Notwendige versäumt. Notwendig wäre es gewesen, die Bestände der Heimatstuben, Kreis- und Schularchive zusammenzuführen, die jetzt verstreut in Stadt- und Landesarchiven lagern. Der Vorsitzende des Heimatkreisausschusses Belgard schrieb 2014 im Jahresblatt seines Vereins: „Es schmerzt und macht mich wütend, daß die Organe der Landsmannschaft sich der Bedeutung der Heimatstuben Hinterpommerns nie wirklich bewußt waren, sich ihrer nie ernsthaft annahmen. Überall im Lande entstehen (…) Museen, finanziert mit EU- und anderen fördernden Mitteln; wie hätte es da nicht möglich sein sollen, ein Museum in Greifswald zu etablieren, das die Heimatstuben hätte aufnehmen können.“ 

Die Frustration beschleunigte die Erosion an der Basis. So betonte der 2006 gegründete Verein „Heimatfreunde Pommerns e.V. Hamburg“ seine Unabhängigkeit von der PLM. Der Heimatkreis Stargard verließ 2009 den Pommerschen Zentralverband und im September 2017 auch die Landsmannschaft, um nicht in den Abwärtsstrudel gezogen zu werden. Einige Heimatkreise werden nur noch kommissarisch geleitet. Zu den jeweiligen Heimattreffen finden gerade mal drei Dutzend Teilnehmer zusammen.

Der allgemeine Verfall widerspiegelte sich auch in der Pommerschen Zeitung. Auf der Titelseite stachen weiterhin die pointierten Artikel des Leitenden Redakteurs hervor, doch die folgenden Seiten wurden zunehmend mit Nachdrucken aus alten Zeitungen und Büchern gefüllt.

In Auflösung befand sich auch das Pommern-Zentrum. Zuerst wurden die Appartments veräußert, 2015 schließlich das Akademiegebäude. Die Pommern-Bibliothek und das Pommern-Archiv wurden an den Verein „Pommerscher Greif“ im vorpommerschen Züssow übergeben. In der Verbandsspitze kam es zu langen Vakanzen. Der Internetauftritt – der unabdingbare Existenznachweis eines jeden Vereins heutzutage – wurde seit Jahren nicht mehr aktualisiert. Am Ende stand folgerichtig die Insolvenz. Man wollte alles behalten und hat alles verloren.

Im kommenden Jahr begeht die Pommersche Landsmannschaft den 70. Jahrestag ihres Bestehens, doch faktisch markiert das Jahr 2017 ihr Ende. Bundessprecherin Margrit Schlegel betont zwar: „Die Pommersche Landsmannschaft besteht weiter!“ – und gibt als Kontakt- ihre Privatadresse an. Wie die Landsmannschaft ohne Geschäftsstelle, ohne Tagungsräume, ohne Verbandsorgan, ohne personelle und technische Ausstattung und ohne Geld am Leben erhalten, organisiert und Wirkung entfalten kann, bleibt ein Geheimnis. Die „Treue zur Heimat“, die im jüngsten Aufruf zur „Pommerschen Heimatspende“ beschworen wird, ist 73 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kein hinreichendes Arbeits- und Zukunftskonzept mehr. Nicht nur das Pommern-Zentrum, auch die Landsmannschaft gehört der Vergangenheit an.