© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Verdammt, wir brauchen die deutschen Milan-Raketen.“ Die Ansage des kurdischen YPG-Kämpfers im Nordirak, der davon träumt, Brechts Stück „Die Maßnahme“ dereinst in seiner Heimat zur Aufführung zu bringen, erinnert mich an die Übersicht der linksanarchistischen Zeitschrift Abwärts!, die unter dem Titel „Gaucks Thierleben“ die motorisierten Waffentypen der Bundeswehr vorstellte (heute als Plakat erhältlich). Ein lebendiges Bild von den realen, in höchstem Maße verworrenen Vorgängen im Nordirak präsentiert der mutige Bürgerkriegs-Thriller des ambitionierten Regisseurs Peter Ott (www.otthollo.de). Dessen Film „Das Milan-Protokoll“ erinnert unversehens auch an das Schicksal des JF-Reporters Billy Six, der in Syrien gekidnappt wurde und mit der Protagonistin des Films ein ähnliches Arbeitsethos teilt.


So wird die Ärztin Martina (Catrin Striebeck), die durch ihr grenzüberschreitendes Engagement blauäugig agiert und den Diebstahl des Milan-Abwehrsystems durch die Kurdenmiliz YPG deckt, von einer sunnitischen Gruppe entführt, die mit dem Islamischen Staat kooperiert. Dabei wollen die Entführer inzwischen selbst aus dem IS-Gebiet fliehen. Schließlich wird die Ärztin – nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen – über Kontakte des BND befreit, der sie in Person des undurchsichtigen Vernehmers Moses (Christoph Bach) einem Verhör unterzieht, dem die Betroffene mit befremdlichem Unverständnis begegnet. Entsprechend ist auch das Verhalten, als Martina vor ihren sunnitischen Bewachern mit ihren Kontakten in die deutsche Politik angibt: EU-Parlamentarier der Grünen. Die verständnislose, enttäuschte Reaktion der Kidnapper korrespondiert mit den darob einsetzenden Lachern im Publikum.


Gleichwohl scheint es ohne das Presseheft nur schwer möglich, das Personengeflecht zu durchdringen. Indes ist der Film an mancher Stelle klüger als der Begleittext. Das gilt etwa für die Ärztin, wenn sie die machistische Doppelmoral und Verlogenheit des sunnitischen Bewachers vorführt, der arabische Männer als die beste Wahl empfiehlt, oder als sie den IS-Kämpfer Ismail totspritzt, der sie verraten wollte und der – bezeichnenderweise – aus „Bielefeld“ stammt: Die Bielefelder Schule, die Luhmannsche Systemtheorie und die Lehrstätte Lamya Kaddors lassen grüßen. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild (Kinostart: 18. Januar): Packender und intensiver als in diesem Nahost-Thriller ist die menschliche wie politische Komplexität des derzeitigen Konfliktes nicht abzubilden (www.das-milan-protokoll.de).