© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Stresemann mit Geschichtslosen
Liberale Definitionen über politische Vorväter
Wolfgang Müller

Seit ihrer Gründung diskutiert die AfD das Für und Wider einer parteieigenen Stiftung. Nach ihrem Einzug in den Bundestag nimmt das Projekt nun so konkrete Formen an, daß es scheint, als fehle allein noch ein Namenspatron. Im Dezember schlug Alexander Gauland vor, statt der bisherigen Favoriten, den Humanisten Erasmus von Rotterdam und Johann Gottfried Herder, den dritten Weimarer Klassiker, Gustav Stresemann (1878–1929), ins Auge zu fassen. Sein Name erinnere an das nationalliberale Erbe Deutschlands, dem sich die AfD verpflichtet fühle.

Witzigerweise reagierte ausgerechnet das FDP-Führungsduo, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki, prototypische „Fanatiker des Jetzigen“ (Jacob Burckhardt), am heftigsten auf diese „Provokation“. Kubicki, Verteidiger in Wirtschaftsstrafsachen, einst Spezi des erinnerungspolitisch etwas unsensiblen Israelkritikers Jürgen Möllemann und noch nie mit historischen Kenntnissen aufgefallen, fand es „makaber und geschichtslos“, den „europäischen Versöhner Stresemann zur Galionsfigur einer Stiftung antieuropäischer Spalter“  zu machen. 

Lindner hingegen, der als Politologe nur eine reichlich „geschichtslose“ Magisterarbeit über „Steuerwettbewerb und Finanzausgleich“ vorzuweisen hat, wollte die FDP lieber nicht so stark mit dem rechtsliberalen Außenpolitiker identifizieren. Er sieht  seine Partei eher in der „Tradition von Heuss bis Genscher“ und überspringt locker 150 Jahre Geschichte des deutschen Liberalismus, um die geistigen Ursprünge seiner Freidemokraten im Ideennebel von „französischer Revolution, amerikanischer Verfassung und schottischer Philosophie“ zu verflüchtigen (FAS vom 24. Dezember 2017).

Immerhin bewahrte ihn solche Amnesie davor, mit Kubicki Stresemann zum Vorläufer des ewigen EU-Bonzokraten Martin Schulz auszurufen. Denn von dessen „Vereinigten Staaten von Europa “ hielt der nationalliberale Stresemann nichts. Für den war internationale Kooperation ein friedliches Mittel, um das Deutsche Reich wieder als Großmacht im europäischen Konzert souveräner Nationalstaaten zu etablieren. Und die Kraft zur Selbstbehauptung wollte dieser exzellente Goethe-Kenner aus der nationalen Geschichte und Kultur schöpfen, die den herrschenden Vorbetern des Vielvölkerstaates Germany einerlei sind. Auch deshalb ist ein idealerer Kandidat für eine zur Bildungsarbeit verpflichtete Parteistiftung kaum denkbar.