© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

„Die irdischen Paradiese verblassen“
Freier Geist: Zum 75. Geburtstag des Privatgelehrten und Carl-Schmitt-Experten Günter Maschke
Siegfried Gerlich

Wie sein abenteuerliches Herz und sein frankophiler Esprit ihn von bodenständigeren deutschen Geistern unterscheiden, so trifft auch der kitschige Topos des „bewegten Lebens“ auf das seinige tatsächlich zu: 1943 in Erfurt geboren, verlebte Günter Maschke seine Jugendjahre vis-à-vis dem Geburtshaus von Karl Marx in Trier, bevor es den philosophisch ambitionierten Studenten zu Ernst Bloch nach Tübingen zog, wo er eine führende Rolle in der dadaistischen „Subversiven Aktion“ spielte, der auch Rudi Dutschke und Bernd Rabehl angehörten. Der von Dutschke als „Maschkiavelli“ Titulierte despektierte diesen seinerseits als „reinen Toren“, welcher in seiner politischen Romantik die Machtfrage zu stellen vergaß.

Nach seiner Desertion aus der Bundeswehr 1965 floh Maschke nach Wien, um als Kommunarde Marcuse und Adorno zu propagieren, bis Bruno Kreisky ihn 1968 in Abschiebehaft nahm. Das rettende kubanische Asyl bewahrte Maschke indessen nicht vor der Desillusionierung über Fidel Castros Sozialismus, und seine Hilfsdienste für eine Umsturzpläne schmiedende oppositionelle Gruppe führten zu seiner baldigen Ausweisung.

Politische Neuverortung

Nach der Rückkehr nach Deutschland trat Maschke seine ausstehende Haftstrafe an und nahm eine schmerzliche Revision seiner linken Grundüberzeugungen in Angriff. Auf seinem langen Weg nach dem Rechten von Armin Mohler freundschaftlich begleitet, wurde Maschkes politische Neuverortung durch seine 1979 geschlossene Freundschaft mit Carl Schmitt gleichsam besiegelt, als dessen engagierter Herausgeber und kreativer Weiterdenker er sich internationale Anerkennung erwarb.

Weit über des „rote Jahrzehnt“ hinaus hatte Maschke für die FAZ und den Hessischen Rundfunk gearbeitet. 1985 aber mußte der nicht nur freie, sondern auch forsche Mitarbeiter sich verabschieden und wechselte vorübergehend zu Criticón, um in den 1990er Jahren vor allem in den Staatsbriefen sowie der von ihm selbst mitherausgegebenen Etappe zu publizieren. Und was schließlich Maschkes Buchpublikationen betrifft, so sind sie gering an der Zahl, doch reich an Substanz: Mit seiner „Theorie des Guerillero“ (1973) legte er eine gnadenlose Entzauberung des kubanischen Revolutionsmythos vor; in „Der Tod des Carl Schmitt“ (1987) verknüpfte er eine profunde Apologie seines geistigen Mentors mit einer pointierten Polemik gegen Habermas, welche „Sankt Jürgen“, der in Maschke den „einzigen Renegaten der 68er-Bewegung“ erblickte, das Fürchten lehrte; und in „Das bewaffnete Wort“ (1997) versammelte er die brillantesten seiner zwischen 1973 und 1993 erschienenen Essays. Das lange geplante Spätwerk über „Die Selbstzerstörung des Völkerrechts“ ist im übrigen bereits in Arbeit.

Mit Hans-Dietrich Sander und Reinhold Oberlercher, den beiden anderen radikalen Köpfen der deutschen Rechten, verbindet Maschke, daß auch sein politischer Lebens- und Denkweg im linken Lager seinen Anfang nahm. Und wenn er sich auf der liberalen Mittelstrecke des Mohlerschen Hufeisens eine Pause gönnte, dann deshalb, weil er die Anstrengung ahnte, die es kosten würde, dessen äußerste Enden so zusammenzuspannen, daß sie sich nicht nur berührten, sondern unauflöslich verbunden blieben. Denn die Lücke, die der Teufel ließ, hatte auch für Maschke ihre Tücke: Der gegenrevolutionäre Katholizismus seiner Meisterjahre ließ sich nicht einfach mit dem sozialrevolutionären Leninismus seiner Lehrjahre zu einer nationalrevolutionären Synthese verschmelzen, ohne daß im Ernstfall eine ideologische Kernschmelze drohte.

Für Maschke stand gleichwohl fest, daß der Weg durch die Mitte nicht nach Rom führt. Und wie sehr er wirklich dorthin wollte, bezeugt nicht nur sein aufgeklärter Argwohn gegenüber dem „antirömischen Affekt“ der Deutschen, sondern mehr noch seine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den katholischen Reaktionären de Maistre, de Bonald und vor allem Donoso Cortés, dessen umfängliches Hauptwerk er geduldig ins Deutsche übertrug.

Dieselbe „höhere Sittlichkeit“ aber, die sich dazumal im „Ordo“ ausgeprägt hatte, glaubte Maschke im Ethos des autoritären Sozialismus wiederzufinden, seit sich die libertäre Linke mit dem bourgeoisen Liberalismus arrangierte und dessen hedonistischen Verfall sogar als Emanzipation feierte. Insofern findet sich eine „Zweideutigkeit der Entscheidung“, wie Maschke sie bei Schmitt ausmachte, der zwischen der auctoritas des überkonfessionellen „Leviathan“ und der veritas des gegenreformatorischen „Behemoth“ hin und her schwankte, auch bei ihm selbst, wiewohl er seine revolutionären und reaktionären Denkfiguren so nonchalant miteinander verkuppelte, als stünden sie sich nicht von Haus aus fremd oder gar feindlich gegenüber. 

Aber freilich war Maschke immer für eine Überraschung gut. Erst vor wenigen Jahren erwies er demselben Guerillero, dessen Gefängnisse er einst von innen kennengelernt hatte, eine späte Reverenz, indem er – mochte Carl Schmitt sich auch im Grabe umdrehen – Castro zum „Katechon“ einer in den Abgrund rasenden Welt emporstilisierte, denn als notorischer „Schurkenstaat Nr. 1“ firmierten für ihn weiterhin die USA.

Doch gerade in solchen kühnen Konsensstörungen bewährte sich Maschke als einer jener freien Geister, die in allen politischen Lagern rar geworden sind: „Nichts korrumpiert das Denken so sehr wie die Angst vor dem Beifall von der falschen Seite.“ Und ebenso wenig ängstigte ihn, daß der Beifall von der richtigen Seite ausbleiben könnte, denn den Konservativen war er allemal zu rechts und den Rechten wiederum zu links. Wie ein „Partisan, der die Waffen nimmt, wo er sie kriegen kann“, schätzt Günter Maschke noch heute den diagnostischen Wert der marxistischen Lehre und verachtet die „Lesefaulheit und latente Theoriefeindschaft vieler Rechter, die glauben, mit ihren Affekten auszukommen“. 

Misanthropische Abgründe

Vollends sein eingestandener Mangel an Liebe zu den Deutschen, die zu „Fellachen de luxe“ verkommen seien, mußte dem nationalen Lager bitter aufstoßen. Als Atheist, der an seinem Unglauben zweifelt, glaubt Maschke aber um so entschiedener an die Erbsünde, in welcher alle menschlichen Freund/Feind-Schicksale beschlossen lägen. Und es bringt ihn ins Grübeln, daß gerade die Rechten, die dieses pessimistische Menschenbild doch auch verfechten, den Deutschen stets so unerschrocken Vortrefflichkeit und Untadeligkeit bescheinigen, als wäre ausgerechnet ihnen der Sündenfall erspart geblieben.

Zum Besten, was Maschke sich bewahrt hat, gehört sein unverwüstlicher schwarzer Humor, der sich aus misanthropischen Abgründen zu nietzscheanischem Gelächter erheben kann, um sich am Ende der Comédie humaine mit jener traurigen Gelassenheit hinzugeben, die auch ein Zeichen von Humanität ist. Am 15. Januar hat Günter Maschke sein 75. Lebensjahr vollendet.