© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Knapp daneben
Überlebenstraining
Karl Heinzen

Nach drei Niederlagen in Folge verabschiedete sich der FC Sion als Tabellenletzter in die Winterpause der Schweizer Super League. Auf das neue Jahr schaute man voller Sorge. Die Moral des Teams schien im Keller. Wie sollte man da den Abstieg noch abwenden können? Klubpräsident Christian Constantin wollte sich jedoch nicht entmutigen lassen. Irgendwie müsse man doch auch verwöhnten Weicheiern wieder das Rückgrat einziehen können, und so verordnete er dem gesamten Kader statt Wellness und kuschelpsychologischer Traumaverarbeitung ein viertägiges Militärcamp. Unter Anleitung des ehemaligen französischen Elitesoldaten Pascal Saint-Yves durften die Profis kalte Gewässer durchqueren, hohe Gipfel erklimmen, schwere Lasten schleppen und bei Minusgraden im Freien übernachten. Im Nahkampftraining erwarben sie neue Fertigkeiten, um in Ein-gegen-Eins-Situationen auf dem Platz, möglichst aber außerhalb des Strafraums, zu bestehen. Auf die Spitze getrieben wurde der Drill durch die Auflage, das Smartphone nur zehn Minuten am Tag nutzen zu dürfen.

In Syrien gibt es genug Möglichkeiten, sich auf die nächste Fußballsaison vorzubereiten. 

Die Gegner des FC Sion werden sich daher in der Rückrunde warm anziehen müssen, zumal Saint-Yves dauerhaft in den Trainerstab aufgenommen wurde. Sollte es in der Tabelle aufwärts gehen, dürften aber nicht nur andere schwächelnde Vereine auf die Trainingsmethode aufmerksam werden. Auch ganz gewöhnliche Unternehmen könnten sich diese Idee zu eigen machen, um nerven- und leistungsschwache Mitarbeiter auf Trab zu bringen. Ein harmonisches Arbeitsklima, gute Bezahlung und Incentiveprogramme verzärteln Beschäftigte nur zu oft in einer Weise, daß sie den für den Erfolg zu schulternden Belastungen nicht mehr standhalten. Klassischer militärischer Drill verleiht ihnen die notwendige Härte für den Existenzkampf. Allerdings kann auch niemand ausschließen, daß die Talfahrt des FC Sion weitergeht. Selbst dann wird Christian Constantin aber um eine Lösung nicht verlegen sein. In der Ostukraine oder in Syrien gäbe es genug Möglichkeiten, sich auf die nächste Saison durch richtige Bewährungsproben und nicht bloß Training vorzubereiten.