© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

„Nichts wird ordentlich gemacht“
Kongo: Einst politischer Strippenzieher, nun erkennt Chalupa sein Land nicht wieder
Billy Six

Die „Drecksloch-Staaten“ – die US-Präsident Trump zugeschriebene Bemerkung sorgt weltweit für Wirbel. 54 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union fordern eine Entschuldigung. Wer den Schwarzen Kontinent länger bereist, weiß: Stinkende Müllberge, überlaufene Ghettos und zerrüttete Verhältnisse sind zahlreich. Korruptionsvorwürfe auch – wie beim mit 783 entsprechenden Anklagen selbst innerhalb der Staatspartei ANC heftig umstrittenen Präsidenten von Südafrika (seit 2009), Jacob Zuma. Dessen Vorhaben, die Ex-Frau als Nachfolger zu installieren, scheiterte auf einem historischen Parteitag im Dezember knapp, Zumas Zeit scheint abgelaufen. Die Neue Zürcher Zeitung nennt das Land bereits einen „Mafia-Staat“.

Präsident Kabila will nicht von seinem Amt lassen 

Noch drastischer ist die Lage in der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire. „Gerechtigkeit, Frieden und Arbeit“, so die Losungen des Nationalwappens im zweitgrößten Land des Kontinents, spiegeln nicht den Alltag der meisten Einwohner wider. Im Schatten der Unruhen im Iran starben zum Jahreswechsel mehrere Menschen bei Polizeieinsätzen gegen demonstrierende – zumeist christliche – Regierungsgegner. Katholische Priester hatten zu einem friedlichen Protestmarsch in Kinshasa gegen Präsident Joseph Kabila aufgerufen. 

Die Amtszeit von Präsident Joseph Kabila (seit 2001), in westlichen Medien einst als junger und dynamischer Hoffnungsträger gefeiert, endete bereits vor 13 Monaten. Doch er regiert weiter. Die Verfassung verbietet es ihm, nochmals zu kandidieren. Angesetzte Neuwahlen werden immer wieder verschoben. Friedliche Machtwechsel gab es im Land seit der Unabhängigkeit 1960 nie. Und 2018 könnte am Kongo-Fluß der nächste blutige Umsturz folgen, sollte das Herrschaftssystem keine interne Lösung finden.

 Der steile Absturz des Robert Mugabe in Simbabwe, Afrikas ältestem Regenten, im November 2017 wirkt als Fanal. Der frühere „Freiheitskämpfer“ war nach 37 Jahren durch einen Putsch der Armee und Teilen der Staatspartei von der Macht entfernt worden. Immerhin ohne Todesopfer. Trotz der im Lande lange ungewohnten Straßenproteste hat sich bei dieser „Wende“ aber nur eine jüngere Generation der alten Kader durchgesetzt. Im ölreichen Angola ist wenige Wochen zuvor Präsident José Eduardo dos Santos still und leise aus dem Amt geschieden – nach 38 Jahren. Der (Ex-)Kommunist war einst im Widerstand gegen die portugiesische Kolonialregierung aktiv. 

João Lourenço, der installierte Nachfolger, entläßt nun im Zuge einer „Revolution von innen“ überraschend mehrere Familienmitglieder und Freunde seines Vorgängers aus ihren lukrativen Posten in der Staatswirtschaft und wettert gegen die allmächtige Korruption.

 Für den Kongolesen Pierre-Jacques Chalupa ist die politische Neuordnung im südlichen Afrika „frischer Wind“, ein Grund zur Hoffnung „in unserer Hölle mit diesem durchgedrehten Präsidenten“. Der 69jährige Unternehmer war von 2006 bis 2011 Parlamentsabgeordneter –  als bisher einziger Weißer. 

Früher gehörte Chalupa der Regierungsfraktion an, seine Werbefirma entwarf Wahlkampfplakate für den ihm heute so verhaßten Joseph Kabila. Gegen Ende der Legislatur wandte er sich dem Oppositionslager um Étienne Tshisekedi zu, das nach offiziellen Zahlen 2011 auf 32 Prozent der Stimmen kam. Für Chalupa selbst endete die politische Karriere damals im Gefängnis. 

Die Behörden warfen ihm, dessen Großeltern im 19. Jahrhundert (noch vor der belgischen Kolonialisierung) aus Portugal eingewandert waren, vor, sich seinen kongolesischen Paß 1999 betrügerisch erschlichen zu haben. Anfänglich zu vier Jahren Haft verurteilt, wurde Chalupa bereits im November 2013 zusammen mit 391 anderen Gefangenen durch Beschluß des Staatschefs begnadigt. Mit seinem Ausweisdokument reise er bis heute, betont Chalupa. „Das Problem ist meine Haut“, sagt er. Rassismus gegen Weiße sei im Kongo weit verbreitet – dies, obwohl er mit seiner schwarzen Ehefrau vier Kinder hat, selbst das einheimische Lindale und Kisuaheli spricht.

Kongo war einst hochentwickelt

„Ich fühle mich sehr stark als Kongolese, mein Herz schlägt vollkommen für dieses Land“, sagt Chalupa, der eine große Sammlung traditioneller Totenmasken sein eigen nennt. Zwar möge er Erholungsreisen nach Europa, „aber ich fühle mich so frei, wenn ich in unserem afrikanischen Busch laufen kann“. Heute sei dies angesichts der prekären Sicherheitslage nicht mehr möglich. Korruption, Mißwirtschaft und jahrelange Bürgerkriege haben dem einst  wirtschaftlich mit am höchsten entwickelten Land Afrikas zugesetzt. 

 Noch zur Zeit des Langzeit-Diktators Mobutu Sese Seko (1965–1997) „herrschte Frieden überall“, erinnert sich Chalupa. Auch Patriotismus. Zum „großen Leoparden“ hat er ein ambivalentes Verhältnis, trotz persönlicher Bekanntschaft. Aus Überzeugung halte er bis heute zur „Progressiven Lumumbistischen Bewegung“, den einstigen anti-imperialistischen, nicht durchsetzungsfähigen Gegenspielern. Doch immerhin ist auch der langjährige US-Verbündete Mobutu am Ende von den USA fallengelassen worden. Chalupa teilt einige Einschätzungen des umtriebigen UN-Anwalts Christopher Black aus Kanada, der bis heute öffentlich die Auffassung vertritt, daß die wahren Täter des Völkermordes im Nachbarland Ruanda (1994) bei den internationalen Kriegsverbrecher-Prozessen nicht verurteilt worden seien. Es habe sich tatsächlich um ein Komplott der USA und einiger europäischer Staaten gehandelt, um mittels der aufgerüsteten RPF-Miliz vom Stamm der Tutsi den kranken Herrscher aus Kinshasa zu verjagen. „Eine Mission zur Destabilisierung unseres Landes, so daß sie unser Land wie Diebe ausbeuten konnten“, so Chalupa. Die Region ist reich an Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Cobalt, Diamanten, Mangan und Zink – und dem heute in der Elekronik-Industrie begehrten Coltan.

Bereits 2009 bei einem ersten Besuch machte Strippenzieher Chalupa keinen Hehl aus seinen Ansichten. „Nichts wird ordentlich gemacht“, beschrieb er das Alltagsleben. Die seit 1999 im Land befindliche UN-Mission solle am besten verschwinden. „Schau dir Zypern an, wo sich die Herren der Vereinten Nationen seit Jahrzehnten eingenistet haben – da gibt es warmes Wetter und schöne Mädchen. Hier bei uns im Kongo, da haben wir auch warmes Wetter und schöne Mädchen – und dazu einen gewaltigen Berg an wertvollen Rohstoffen. Was glaubst du, wie lange sie bei uns noch bleiben wollen?“ Tatsächlich waren die Blauhelme auch auf der Straße nicht sonderlich beliebt.

 Mit seinem großen Geländewagen war er ständig in Eile, auf den verstopften Straßen der Hauptstadt Kinshasa. Nicht mal das Einschußloch eines versuchten Attentats war nach drei Jahren entfernt worden. „Einsteigen, wir finden Lösungen für alles“, so die Losung des oft in sich versunkenen weißhaarigen beleibten Mannes, der nach einer Krebserkrankung 45 Kilogramm verloren hat und jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst ist.