© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Fast filmreif: Gerade habe ich Karlheinz Weißmanns „Kulturbruch ’68“ ausgelesen und das zugeklappte Buch neben mich auf die rote Sitzbank des Speisewagens gelegt, ertönt die Zugdurchsage: „Meine Damen und Herren, wir erreichen pünktlich (!) Bahnhof Südkreuz, Ausstieg rechts.“ Gerade will ich diesen Moment metaphorisch abspeichern, da wendet sich am Bahnhof Gesundbrunnen das Schicksal: „Wir erreichen die Endstation: Ausstieg links. Bitte alle (!) aussteigen!“


In intransigenter Insistenz fordert Facebook zum wiederholten Mal: „Hilf deinen Freunden, dich zu erkennen.“ Da die Sologamie, die Heirat mit sich selbst, medial in Mode ist, könnte diese Aufforderung im biblischen Sinne gemeint sein. Doch natürlich ist sie das nicht: Es geht hier, wie in der DDR-Diktatur, um die Durchleuchtung und Preisgabe der Persönlichkeit. Noch immer klingt mir die Indoktrination des Oktoberklubs in den Ohren, das berüchtigte FDJ-Lied „Sag mir wo du stehst“. Darin heißt es: „Wir haben ein Recht darauf dich zu erkennen / Nur nickende Masken nützen uns nichts – / Ich will beim richtigen Namen dich nennen / Und darum zeig mir dein wahres Gesicht!“ – Immerhin kündigt Facebook an, ab sofort die Nutzer über die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenseiten abstimmen zu lassen ... Wenn nun die Lückenmedien als Fake-Fabriken bewertet werden – das wäre leider doch zu schön, um wahr zu sein. 


„Anis Amri Ferchichi / ...“ – dieses Nashid endet nie. Immerhin ist jetzt die Willkommenskultur im islamischen Paradies gefordert: Nach neuesten Meldungen soll Denis Cuspert alias Deso Dogg alias Abu Talha al-Almani zum fünften Mal gestorben sein. Im Kino Babylon hatte er einst, ehe ich mich versah, seinen Arm um mich gelegt und mir ins Ohr gemurmelt: „Willkommen in meiner Welt“ – so der Rap-Song, in dem es nur so holpert und stolpert: „Willkommen in meiner Welt voll Haß und Blut / Ich schreibe Zeilen für meine Kinder und das mit Blut.“ Is’ ja gut, würde ich jetzt sagen, und: „I slam / IS peace.“


Der Dialog „Mein Afghane ist erst 15 und schon sooo süß!“ („philosophia-perennis“, 9. Januar 2018) findet seine Fortsetzung am Nachbartisch im Café des Westsektors: Zwei ältere Frauen tauschen sich über ihre Schützlinge Hakim, Issam und Jerome aus. Die eine ist empört, den letztgenannten nicht sehen zu können: „Der darf nicht mehr an der Essensausgabe teilnehmen, angeblich wollte er die anderen abstechen.“ Ihn deswegen aber einzusperren, das ginge nun wirklich zu weit.