© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Mit der Lizenz zum Petzen
Justiz: In Berlin steht ein BND-Mann vor Gericht, der Interna an einen Bundestagsabgeordneten verraten haben soll
Martina Meckelein

Sitzt hier der Richtige auf der Anklagebank? In einem übel riechenden Kessel, in dem eine Brühe aus Geheimnis- und Informantenverrat, aber eben auch der Wunsch, sich von einem Mitarbeiter zu trennen, wabert, muß das Amtsgericht Tiergarten nach beweisbaren Fakten gründeln. Die Zutaten des Gebräus: der Bundesnachrichtendienst (BND), ein Bundestagsabgeordneter und ein Geheimdienstmitarbeiter.

Der Mann hält sich einen schwarzen Aktendeckel vors Gesicht. Er will nicht erkannt werden. Seit vergangenem Dienstag wird dem suspendierten Referenten des Bundesnachrichtendienstes Mark M. vor dem Amtsgericht in Berlin der Prozeß gemacht. Der Vorwurf lautet: Geheimnisverrat. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. 

Bleich sitzt der 45jährige auf der Anklagebank. Nur einige Journalisten, ein Pressesprecher des Bundesnachrichtendienstes und, wie sich herausstellen soll, ein Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU) sind am Montag um halb zehn im Saal B143. 

Was denn Kiesewetters Mitarbeiter hier wolle, will Amtsrichter Ansgar Bode wissen. Der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg spielt eine Schlüsselrolle in dem Prozeß, soll später als Zeuge aussagen. Doch sein Mitarbeiter, ein junger Mann, bringt kaum ein Wort heraus. „Sie wollen wohl sehen, wohin die Reise hier geht?“ fragt der Richter. Ein zustimmendes Kopfnicken ist die Antwort. „Ich will ein unverfälschtes Bild des späteren Zeugen“, sagt der Richter, und somit muß der Mitarbeiter den Saal verlassen und unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Staatsanwalt Holger Brocke verliest die Anklage. Er wirft Mark M. vor, sich am 16. Oktober 2014 mit Kiesewetter, der damals Präsident des Reservistenverbandes und CDU-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuß war, im Restaurant Habel nahe dem Berliner Regierungsviertel getroffen zu haben. Das ist noch nicht strafbar. Dort soll M. allerdings Kiesewetter mitgeteilt haben, daß zwei führende Vertreter des Reservistenverbandes für den BND arbeiteten.

Kiesewetter, Oberst a.D. der Bundeswehr und profilierter Sicherheitspolitiker der Unionsfraktion, der im NSA-Untersuchungssausschuß nicht nur die amerikanische Spionage, sondern auch die umstrittene Zuarbeit des BND verteidigt hatte, dürfte über diese Information nicht erfreut gewesen sein. BND-Mitarbeiter ohne sein Wissen in seiner engsten Umgebung – waren die auf ihn angesetzt?

Da der Angeklagte noch nichts sagt, wird die erste Zeugin vernommen. Sie ist Sachgebietsleiterin der Internen Ermittlungen des BND in Berlin. Die beiden Reservisten seien sogenannte Legendenwohnungsgeber (LGW) gewesen. Das heißt, der Dienst nutzte mit ihrem Einverständnis ihre Namen und Adressen für seine im Ausland tätigen BND-Spione. 

Nach dem Gespräch mit dem Informanten soll Kiesewetter zuerst die beiden Mitglieder des Reservistenverbands direkt angesprochen haben. Die beiden LGW, im Prozeß werden sie nur TNT und TNH genannt, informierten daraufhin ihre zuständigen Kontaktleute beim BND. Dann sprach der Bundestagsabgeordnete auch noch den damaligen Präsidenten des BND, Gerhard Schindler, an. 

Der Dienst kappte schließlich die Zusammenarbeit mit den beiden LGW. Nun begann der Geheimdienst nach dem Verräter zu suchen. Zuerst habe, so die Interne Ermittlerin, der Bundestagsabgeordnete seine Informationsquelle ja nicht benannt. Schnell geriet Mark M. ins Visier. Grund: Der Referent soll die beiden LGW in den Jahren 2010 und 2011 angeworben und einen von ihnen „geführt“ haben. In einem späteren Gespräch, im Mai 2015, so die BND-Beamtin jetzt vor Gericht, nannte der CDU-Bundestagsabgeordnete Kiesewetter doch den Namen seiner Quelle – eben den des Angeklagten. Kiesewetter soll den BND darüber hinaus informiert haben, daß Mark M. ihn sowohl telefonisch als auch per SMS kontaktierte und um ein Gespräch bat. Kiesewetter fragte dann den BND, wie er sich verhalten solle.

Jetzt, mit Kiesewetters Aussage, glaubte der BND den Verräter überführen zu können. Am 18. Juni 2015 luden ihn die Internen Ermittler vor und konfrontierten ihn mit dem Vorwurf. Dem Referenten wurde Hausverbot erteilt. M. hatte da schon Erfahrungen mit den „Internen“. „2012 stand im Raum, daß er für den russischen Nachrichtendienst gearbeitet haben soll“, so die Zeugin. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Disziplinarrechtlich wird allerdings weiter geforscht – bis heute. Es gibt Unstimmigkeiten bei Reisekostenabrechnungen. „Ihm wurde nahegelegt, den BND zu verlassen“, so die Zeugin.

Hätte nicht die Presse Wind von der Geschichte bekommen, wäre dem Nachrichtendienst ein Imageschaden erspart geblieben. Kiesewetter trat seinerzeit als Obmann zurück. Er warf dem Dienst vor, ihn kompromittiert zu haben, und er scheide aus, um „möglichen Zweifeln an meiner Unvoreingenommenheit im NSA-Untersuchungsausschuß entgegenzuwirken“. BND-Präsident Schindler wies damals den Vorwurf als „Unterstellung“ zurück: Die Zusammenarbeit mit den ehemaligen Soldaten habe in keinem Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuß gestanden.

Am 12. März wird Kiesewetter näheres dazu sagen können. Da ist er als Zeuge geladen.