© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Sahra macht mobil
Linkspartei: Die Idee einer linken „Volksbewegung“ ist trotz Gegenwind noch nicht vom Tisch / Im Hintergrund spitzt sich der Führungsstreit zu
Paul Leonhard

Angesichts der Bildung einer Regierungskoalition aus Union und Sozialdemokraten, vor deren Politik eigentlich alle Angst haben, hat Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine zündende Idee: Wie wäre es, wenn all die Unzufriedenen im Bundestag auf den undemokratischen Fraktionszwang pfeifen und parteienübergreifend Politik für den Wähler machen? 

Zeit reif für populäre  Sammlungsbewegung

Seit Jahren sei es nahezu egal, ob SPD oder Union regiere, „es kommt immer die gleiche Politik heraus, die weder Arbeitnehmern noch kleinen Selbstständigen nützt, sondern vor allem die Interessen des großen Geldes bedient“, beklagt Wagenknecht in einem Interview, das sie auf ihre Internetseite gestellt hat. Es wäre gut, „wenn Politiker unterschiedlicher Parteien, die für ein solches Programm stehen, sich zusammenschließen“.

Ihre Idee überfraktioneller Sachpolitik – was auch das Reizvolle einer uniongeführten Minderheitsregierung gewesen wäre – wurde zur Idee einer neuen sozialen Sammlungsbewegung umgedeutet.Diese stammt aber von ihrem Ehemann, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, der zum Jahresende im Spiegel angesichts der permanenten Krise der SED-Nachfolger von einer „linken Sammlungsbewegung“ und „einer neuen Volkspartei, in der sich Linke, Teile der Grünen und der SPD zusammentun“, geträumt hatte (JF 3/18). 

Da Wagenknecht die Interpretationen nicht dementierte, auch nicht auf die empörten Kommentare ihrer Genossen reagierte, dürfte das Unruhestiften Absicht gewesen sein, um den eigenen Rückhalt in der Partei zu testen. Darauf deutet auch ein Newsletter samt Umfrage, den Wagenknecht kurz nach dem Neujahrsauftakt der Fraktion verschickte: „Welche Personen fallen Dir spontan ein, die für solch einen Aufbruch wichtig wären?“

Hatte nicht auch ein Emmanuel Macron in Frankreich die Präsidentenwahl gewonnen und der Linke Jean-Luc Mélenchon mit seiner Bewegung „La France insoumise“ aus dem Stand fast 20 Prozent erreicht? Aus Sicht von Wagenknecht/Lafontaine ist auch in Deutschland die Zeit reif für eine populäre Sammlungsbewegung, wenn diese nur auf die richtigen prominenten Persönlichkeiten zugeschnitten ist.

Statt Beifallstürmen gab es harsche Kritik, und zwar von allen Seiten. Nicht nur Intimfeindin, Parteichefin Katja Kipping, sondern sogar vom linken Flügel, als deren Galionsfigur Wagenknecht bisher galt. Kommunistische Plattform und Antikapitalistische Linke gingen auf Distanz. Ein „medialer Wahlverein kann keine Alternative zu einer pluralen und demokratisch verfaßten Partei sein, die verschiedene Milieus bindet“, heißt es in einem Aufruf unter bewegungslinke.org, zu deren Erstunterzeichnern die bayerische Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke gehört.

Ex-Fraktionschef Gregor Gysi hält zwar eine Sammlungsbewegung zwischen verschiedenen Partei für „irreal“, aber die Idee, eine Bewegung um die Partei herum aufzubauen, für „überlegenswert“. Allerdings seien auf eine Person zugeschnittene Parteien nur vorübergehend chancenreich, weil sie eben mit dieser einen Person auch stehen oder fallen.

Daß Wagenknecht „von Sammlung spricht und ihr aus der Partei Spaltung entgegenschallt, weist auf die tief sitzenden Neurosen, die Unversöhnlichkeiten in der Linkspartei hin“, konstatiert die Zeit. Über neue Formen der Mobilisierung nachzudenken, sei für die parlamentarische Linke ein Gebot der politischen Vernunft.

Uneingeschränkte Unterstützung gibt es vom linken Rand. Der Freitag macht auf den Aufruf „Wir gründen die Neue Linke“ aufmerksam, den alle unterstützen sollten, die eine Vergesellschaftung der Großkonzerne, eine Rückgabe enteigneten Volkseigentums, konsequente Friedenspolitik und eine revolutionäre Umgestaltung der kapitalistischen Verhältnisse anstreben. Eine gemeinsame Plattform also für alle linken Sektierer.

Aber vielleicht ist das der Beginn für die nächste Schlacht um die Führungsspitze. Wagenknecht hat bereits gedroht, im Juni in Leipzig für den Parteivorsitz zu kandidieren, gegen Kipping. Ihr „Team Sahra“, ein Unterstützerkreis um Fraktionsvize Sevim Dagdelen und die Ex-Abgeordnete Nele Hirsch, steht bereit.