© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Wir steigern das Bruttosozialprodukt
Wohnungsmarkt: Neue Plattenbauten für Flüchtlinge werden eiligst errichtet / Eine Nachnutzung ist fraglich
Mathias Pellack

Eine erste Frucht des Berliner „Masterplans Integration und Sicherheit“, die Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF) in der Wittenberger Straße, feierte Ende Januar einjähriges Bestehen. Gleichzeitig berichtet ImmobilienScout24.de im eigenen Index IMX seit 2007 über kontinuierlich steigende Mieten und Preise für Wohnungen. Aber erst im April 2016 konnte sich die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Rahmen dieses „Masterplans“ durchringen, das Wohnungs- und Städtebauprogramm „Wachsende Stadt“ aufzulegen, um der grassierenden Wohnungsnot entgegenzuwirken.

Der Grund dafür, „400.000 bezahlbare Wohnungen im Landeseigentum“ zu fördern, war offenbar nicht der seit zehn Jahren angespannte Immobilienmarkt mit 900.000 Wohnungslosen in ganz Deutschland, wovon 440.000 Flüchtlinge sind. Geplant hatte die Hauptstadt danach, im Jahr 2017 6.000 Wohnungen zu bauen. 3.000 davon sind fertig geworden, was relativ gut ist im Vergleich zum Hauptstadtflughafen BER, an dem jetzt schon mehr als doppelt so lange gebaut wird wie geplant. Ganz anders sieht es wiederum aus, wenn nicht allgemeiner sozialer Wohnungsbau betrieben wird, sondern wenn Flüchtlingswohnheime gebaut werden sollen. Hier genügt in der Regel laut Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) eine Bauzeit von nur 46 Wochen – inklusive der Planung.

In nur zehn Monaten im bürokratischen Deutschland ein Haus zu planen, genehmigen zu lassen und zu bauen gleicht einem Zaubertrick. Und damit der auch gelingt, wurde extra eine „Taskforce Wohnungsbau“ von der Stadt Berlin eingerichtet.

Geplant und gebaut  in nur zehn Monaten

Doch nicht nur in Berlin, auch in Hamburg, München und Frankfurt wird mit Hilfe der industriellen Fertigung von Häusern in Modularbauweise die Wohnungsnot bekämpft, um auch die letzten Notunterkünfte freizuziehen.

Die erste Modulare Unterkunft für Flüchtlinge war eines von ursprünglich 30 Projekten der ersten Phase, die ab 2015 in Planung gingen. In dem vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten an die norwegische Firma Hero Norge AS verkauften Plattenbau können bis zu 450 Migranten in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Flüchtlinge waren 2016 deutschlandweit in etwa 1.000 Turnhallen und weiteren anderen Notunterkünften untergebracht.

Die neun bereits errichteten Stilblüten moderner Architektur – graue Klötze mit Gucklöchern – sind der Raumaufteilung nach nicht als Apartment gedacht, sollen aber trotzdem in der Folge umgenutzt werden. „Eine Nachnutzung als Wohnungen für andere Bevölkerungsgruppen wird möglich sein“, schreibt die Stadt auf Berlin.de. Doch lediglich ein Weiterbetrieb als Studentenwohnheim stünde bei einigen Bauten in Aussicht.

Denn schon als Alten- oder Pflegeheim taugen die 26 genehmigten der 30 geplanten MUF nicht, da meist nur eine einzelne barrierefreie Wohnung pro Gebäude im Erdgeschoß verfügbar ist. Um diese Bauten auf vom Senat bereitgestelltem öffentlichem Grund als private Wohnungen für Familien umzunutzen, müßte man den Wohnraum vollständig neu aufteilen. Das bedeutet Wände einzureißen und an anderer Stelle zu errichten, da sich aktuell mehrere Zimmer WCs auf dem Gang und die Küche in Gemeinschaftsräumen teilen. Dies, um Platz und Kosten beim Bau zu sparen. Zusätzlich wurden sechs der bereits begonnenen Bauvorhaben nach dem extra geschaffenen Flüchtlingsbaurecht genehmigt, was eine Nachnutzung für diese mit weiteren Hürden belegt, in einigen Fällen sogar gänzlich unmöglich macht. Dieses wurde 2015 eiligst in das Bundesbaugesetzbuch als „Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte“ (Paragraph 246) eingefügt. Eine Nachnutzung ist damit nicht erlaubt, da andere Baugenehmigungen nötig wären.

Jahrzehntelang wurden die  Massenquartiere abgerissen

Zum Vergleich bietet sich der bauartähnliche und bekannteste DDR-Plattenbau an. Theoretisch könnte man dank der Tatsache, daß nicht jede Wand eine tragende ist, problemlos auch beim sogenannten WBS 70 die Raumaufteilung verändern. Von diesem und vergleichbaren West-Typenbauten wurden ganze Trabentenstädte wie etwa in Berlin-Marzahn, Frankfurt-Nordweststadt und in München-Neuperlach errichtet, die in der Peripherie der Stadt gelegene Unterbringungen für die einstigen Arbeitermassen boten.

Meist sind es nun genau diese Stadtteile, in denen MUFs oder ähnliche Unterkünfte errichtet werden. „Nachverdichtung“ nennt auch die Chefin der Berliner Howoge, Stefanie Frensch, das Vorhaben. In der Atmosphäre des 1962 in Ost-Berlin errichteten Vorzeigekinos, dem Kosmos-Kino, berichtet sie der Bauwelt-Konferenz für Architekten und Stadtplaner, daß „alle sechs großen Berliner Wohnbaugesellschaften mit dem Entwurf neuer Typenbauten“, das heißt Plattenbauten beauftragt wurden.

Die Modulbauten brachten in der DDR viele in eigenen, praktischen und preiswerten Wohnraum. Nahe dem Arbeitsplatz gelegen, boten sie Toiletten innerhalb der Wohnung und fließend Warmwasser aus der Leitung. Um 1970 war das Luxus, und im Vergleich mit MUFs ist es das auch immer noch.

Bis 2016 wurden wegen geringerer Nachfrage und der darauf aufbauenden Investitionsstrategien von Kapitalgebern immer noch Abrisse solcher Platten durchgeführt, wie an der Wilhelmstraße Ecke Französische Straße in Berlin. Dort wurde ein bestehendes und noch bewohntes Modulgebäude durch neue Luxuswohnungen ersetzt. Der Neubau war wirtschaftlich attraktiver, da anschließend mehr Miete verlangt werden kann. 

Die Platten des alten Baus goß man für hundert Jahre, auch die neuen MUFs sollen „eine Standzeit von 80 bis 100 Jahren“ haben. Doch auf der Wetterseite der Fassade sind bereits Rostflecken erkennbar. Die Idee, leerstehende WBS 70 oder ähnliche Bauten für Flüchtlinge nutzbar zu machen, den Abriß und Neubau zu sparen, war offenbar nicht überzeugend, wie der Fall im brandenburgischen Oderberg zeigte. Dort förderte der Steuerzahler mit fast 350.000 Euro den Abriß dreier DDR-Platten, während 1,8 Millionen Euro für eine neue Asylbewerberunterkunft ausgegeben wurden.

Die Stadt Berlin steigert bereits mit ihrem Wohnbauprogramm das Bruttosozialprodukt. Jeder der Modularen Baukomplexe für Flüchtlinge, bestehend aus zwei Wohn- und einem Versorgungsgebäude, in dem ein Wärter den Ein- und Ausgang kontrolliert, kostet zwischen 17 und 21 Millionen Euro. Eine zweite Phase von abermals 30 MUF-Bauten werde derzeit mit den Bezirken abgestimmt, steht auf Berlin.de.

Identifikation mit der  Wohnstätte gefährdet

Die gute Auftragslage begrüßen auf der Bauwelt-Konferenz anwesende Architekten, auch wenn absehbar ist, daß modulare Typenbauten abermals nur kurzfristig einem Mangel Abhilfe schaffen werden. Sie entwarfen „Wohnhochhäuser“ und die „Stadt der Zukunft“, sprachen über „günstigen Wohnraum“ in „modernen Typenbauten“. Diese sollen natürlich viel besser sein als die alten und auch „über die Zeit nicht schlecht werden“, forderte der Veranstalter der Bauwelt, Boris Schade-Günzow, welcher auch Chefredakteur der gleichnamigen Zeitschrift ist.

Professor Heinz Bude, Lehrstuhlinhaber für Makrosoziologie an der Universität Kassel, will, daß das Hochhaus der Zukunft „weder für starke Einzelne noch für spezielle Populationen geplant“ werde. „Durchmischung“ und „Heterogenität“ wurde von nahezu allen Vortragenden als Desiderat genannt. Jedes Gebäude solle Orte und Räume bieten, an denen die „Menschen zusammenkommen“ können. Es gebe zwar „neue Probleme“ wie den „Klimawandel“, das „Migrationsproblem“ und die Frage, ob die „Tochter allein zur Schule gehen“ könne. Doch schließt er daraus, man müsse die „Abhängigkeiten von anderen akzeptieren“. Als positives Beispiel funktionierender Integration nennt der Hochschullehrer, der in einem Eigenheim aufgewachsen ist, den Wohnpark Alterlaa in Wien mit etwa 40.000 Einwohnern.

„Junge und Alte“ gebe es dort ebenso wie „Clubräume für alles mögliche“, und „das Beste ist, daß man kein Auto braucht, um heimzukommen.“ Diese ursprüngliche Idee der Satellitenstadt, die in der Hauptstadt Österreichs als weltweit eines der wenigen Beispiele der „Großwohnanlagen mit integrierten Arbeitsplätzen und Konsumgeschäften funktioniert“, hat in seinen Augen nur ein Manko: Es gebe so gut wie „nur Bio-Österreicher, und keine ethnische Mischung“, was „natürlich die Herausbildung kollektiver Identität erleichtert“. Diese aber sei notwendig, um Gemeinschaftsgüter zu pflegen.

Stephan Schütz, Partner der gmp-Architekten, stellte klar, daß „Neuankömmlinge in die Peripherie verdrängt“ würden. Seine Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung erwarten verstärkte Bauaktivität im Wohnungsbau. Der Typus des Wohnhochhauses gewinne daher als „Lösung zur Nachverdichtung auch bestehender Quartiere“ an Bedeutung. Architekt Ole Scheeren hingegen attestierte den Deutschen ein „Hochhaus­trauma“. Der international erfolgreiche Planer von aktuell zehn Wolkenkratzern, forderte ein „Form Follows Fiction“ für die Architektur. Ehemals Partner des Niederländers Rem Koohlhaas, meint er: „Plattenbauten bunt anzumalen“ reiche nicht. Architektur solle „eine Geschichte erzählen“, anstatt nur funktional zu sein.