© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Mit allem gebotenen Respekt
Christian Eder über die Pflicht staatlicher Institutionen zur Neutralität im Parteienstreit
Günter Bertram

Selbst flüchtigen Zeitgenossen dürfte in Erinnerung geblieben sein, daß vor Jahren der damalige Bundespräsident Joachim Gauck die NPD öffentlich als „Spinner“ bezeichnet hatte, und daß vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) darüber gestritten wurde, ob er das durfte. Ähnliche Fälle gab es  immer wieder, wobei freilich nicht der Bundespräsident, sondern Bundesministerinnen und Mitglieder von Landesregierungen wegen solcher Äußerungen sich vor dem BVerfG oder ihren Länderverfassungsgerichten verantworten mußten.

Die Fragen sind zu verzwickt, um sie mit einem schlichten Ja oder Nein zu beantworten – jedenfalls nach Meinung von Fachjuristen. Deshalb hat Christian Eder darüber eine weit ausholende Dissertation verfaßt, die hier nur kurz und knapp vorgestellt werden kann: Im August 2013 hatte Gauck im Gespräch mit Berliner Schülern zur NPD gesagt, deren Gerede sei zwar eklig, es zu ertragen jedoch die Kehrseite der Meinungsfreiheit, „aber wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und sagen, ‘bis hierher und nicht weiter’“. Die NPD beantragte beim BVerfG festzustellen, daß der Präsident durch ihre Abwertung als „Spinner“ ihre Rechte als Partei mißachtet und seine eigene Neutralitätspflicht verletzt habe. Das Gericht wies den Antrag ab: Der Präsident entscheide selbst, wie er die an sein Amt gestellten Erwartungen erfülle, seine Neutralität wahre und welche Form der Kommunikation dafür angemessen sei. Allerdings dürfe er nicht „willkürlich“ Partei ergreifen und  seine Integrationsfunktion gröblich vernachlässigen. Dergleichen sei hier aber nicht festzustellen. „Spinner“ sei keine Beschimpfung gewesen, sondern ein Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden hätten.

Im Juni 2014 hatte die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig in der Thüringischen Landeszeitung zur anstehenden Landtagswahl über die NPD gesagt, in ihr stecke die Ideologie Hitlers; man müsse um jeden Preis verhindern, daß sie in den Landtag komme. Auch hier wies das Bundesverfassungsgericht den Antrag der NPD zurück. Zwar gehe die Neutralitätspflicht einer Regierung wesentlich weiter als die des Bundespräsidenten. Sie dürfe auf die politische Willensbildung des Volkes keinen Einfluß nehmen. Doch bleibe es ihren Funktionsträgern unbenommen, außerhalb ihrer Ämter – also „privat “: als politische Menschen –, ohne Verwendung staatlicher Gelder, Sachmittel oder Symbole wie jedermann am Meinungskampf teilzunehmen. Da die Ministerin sich hier in diesem Sinne nur als Privatperson politisch geäußert habe, sei das rechtens gewesen. Schlechter erging es der Bildungsministerin Johanna Wanka, die zu ihrer Polemik – diesmal gegen die AfD – die Ressourcen ihres Ministeriums in Anspruch genommen hatte. Sie mußte ihre Homepage insoweit löschen. Die zuständigen Landesverfassungsgerichte entschieden in fünf ähnlichen Fällen zweimal gegen und zweimal für die NPD, in einem weiteren für die AfD.

Eder kritisiert Tendenzen zur Volkserziehung 

Eder übt – vorbereitet durch gründliche verfassungsrechtliche Erwägungen – deutliche Kritik an der Tendenz des BVerfG, obrigkeitliche Volkserziehung zu tolerieren und stellt dagegen die Rechte des Souveräns (des Wahlvolks) heraus, die Freiheit der Meinungsbildung und die tragende Rolle der Parteien in der Demokratie. Vom beliebten Rückgriff auf unsere „wehrhafte Demokratie“, um legalen Parteien ihre Rechte zu verkürzen, hält er nichts. Besonders verfehlt und widersprüchlich sei die Ansicht des BVerfG, dem Bundespräsidenten sei bis zur Grenze reiner Willkür oder Verunglimpfung jede abwertende politische Auslassung gestattet, während Regierung und Minister viel strikteren Bindungen unterlägen. Gerade der Präsident aber als „Hüter der Verfassung “ müsse sichtbar über den Parteien stehen, um unterschiedliche Strömungen zu integrieren. Tatsächlich erwarte das Volk gerade von ihm in viel höherem Grade Objektivität und Fairneß als von Regierungen, deren Verstrickung ins politische Tagesgeschäft man ohnehin realistisch einschätze. Das BVerfG verspiele das Vertrauenskapital des Präsidentenamtes ohne Not und Vernunft durch seine beflissene Rechtsprechung.

Christian Eders Dissertation betrifft gewisse staatliche Äußerungen – also kein unwichtiges Thema, aber eines von weit geringerem Gewicht als parteiliches Handeln, das der Staat sonst noch zu verantworten hat. Das BVerfG selbst spielt dabei mit: Durch sein Urteil vom 17. Januar 2017 hat es die NPD zwar nicht verboten, aber in „schöpferischer“ Weise zum Paria gemacht. Daß Regierungen und Verwaltungen in Links-Rechts-Konflikten in der Regel einseitig Partei nehmen, ist notorisch und ein weites Feld. Eders Schrift regt dazu an, seine Linien über das Wort hinaus in die Welt der Taten und Unterlassungen auszuziehen.






Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

Christian Eder: „Rote Karte“ gegen „Spinner“? Bedeutung und Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung. Duncker & Humblot, Berlin 2017, broschiert, 215 Seiten, 74,90 Euro