© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Der Flaneur
Auf der Verkaufsfläche
Konrad Markwart Weiß

Casinos sind fensterlose Labyrinthe mit einer Lichtregie, die den Spieler das Gefühl für Raum und Zeit und somit möglichst viel Geld verlieren lassen soll. Ähnlich durchtrieben die Herrenbekleidungs-Strategen: Zunächst wird der arglose Interessent an elementarster Leibwäsche in die entlegensten Winkel der Textilpaläste gelenkt. Deren Faustregel: Je größer Verkaufsfläche und Warenvielfalt, desto geringer Zahl und Qualifikation des Personals.

Nach kräftezehrendem Anmarsch geschwächt und in den menschenleeren Weiten vereinsamt, mag man zwar das Gewünschte nicht finden, wird dafür aber früher oder später ohnehin zurückkehren müssen – und diesmal, um seine Mühen einigermaßen zu rechtfertigen, irgend etwas anderes kaufen; und sei es nur, um in den üppig bemannten Luxusabteilungen ein wenig Trost von einem menschlichen Wesen zu erfahren. 

Zur sichtlichen Erleichterung der Verkäuferin wird der Einkauf abgebrochen.

Da! Schon schwebt eine anmutige junge Exotin heran – entschwindet aber angesichts der Bitte, die Kragenweite zu ermitteln, sofort wieder. In Hunderten Fuß Entfernung erfährt sie durch eine ältere Kollegin eine Schnellschulung, um dem ungewöhnlichen Wunsch nachkommen zu können. Nach umständlicher Vermessung verkündet die Novizin strahlend: „48! Blähhals?“ Bestürzt verlangt der Flaneur Wiederholung: 46! Skeptisch entschließt sich dieser zu empirischem Vorgehen, verkündet mehrfach andeutungsvoll, eines der hermetisch verschweißten Hemden anprobieren zu wollen und beginnt mühselig die Verpackung zu öffnen sowie vergeblich nach einer Ablagefläche für Folien, Kartonagen und Stecknadeln zu suchen – unter dem interessierten Blick der reglosen Verkaufsölgötze. 

Genug! Zu deren sichtlicher Erleichterung wird der Einkauf abgebrochen. 1:0 gegen die Textilmachiavellisten und für den Apfelwein: In Frankfurt, der alkoholisch vielfältigsten Stadt Deutschlands, gibt es schließlich vergnüglichere Arten, sein Geld loszuwerden.