© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Ein selbstherrlicher Übergriff
Wenn er kommt, hebelt der Europäische Währungsfonds das Haushaltsrecht des Bundestages aus
Dirk Meyer

Das Haushaltsrecht als „Königsrecht“ des Parlaments, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gewaltenteilung, allesamt Errungenschaften des europäischen Bürgertums, scheinen in der Europäischen Union nicht mehr viel wert. Es ist die Zeit der autokratisch-europäischen Übergriffe. Als Ironie der Geschichte könnte man es abtun, daß EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (2006), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2008) und Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (2015) mit dem renommierten Karlspreis und mithin als große Europäer ausgezeichnet wurden. Immerhin waren gerade sie die Hauptakteure einer solchen Politik.

Beispiel Flüchtlingszustrom: 2015 öffnete die deutsche Regierung für etwa 890.000 Migranten weitgehend unkontrolliert, rechtsstaatlich zweifelhaft und ohne Legitimation des Bundestages die Grenzen, mit Konsequenzen für die Einschränkung der Freizügigkeit im Schengenraum. Beispiel Target-Kredite: Im Rahmen grenzüberschreitender Zahlungen der nationalen Notenbanken über die Europäische Zentralbank (EZB) sind deutsche Ansprüche von 907 Milliarden Euro (Stand Dezember 2017) aufgelaufen. Ohne Mitwirkung des Bundestages mußte die Bundesbank diese Kredite vornehmlich mediterranen Euro-Staaten einräumen. Bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone wären diese Kredite verloren. Beispiel Europäischer Währungsfonds (EWF): Als neues „Leuchtturmprojekt“ der EU-Kommission, im Sondierungspapier der GroKo abgesegnet, gilt die Einrichtung eines Quasi-EU-Finanzministeriums mit derzeit noch beschränkten Aufgaben. Während die mit der Flüchtlingszuwanderung verbundenen Probleme weitgehend offen zutage treten und breit diskutiert werden, bleiben der Target-Saldo und der EWF für viele Bürger bisher unsichtbar und für das Verständnis komplex. Doch gerade das macht sie so gefährlich.

Im Zentrum des Kommissionsvorschlages vom Dezember steht die Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds. Der ESM wurde 2012 auf der Basis eines zwischenstaatlichen Vertrages gegründet. Das haftende Stammkapital von 700 Milliarden Euro kommt von den Euro-Staaten. Deutschland haftet mit 190 Milliarden Euro oder 27 Prozent. Entsprechend der Regel „Wer bezahlt, der entscheidet“ bestimmen im ESM-Gouverneursrat die nationalen Finanzminister über Hilfsprogramme für Krisenstaaten, Auszahlungen usw. Gemäß dem Grundgesetz und durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestätigt, ist das Votum des deutschen Ministers an die Zustimmung des Bundestages gebunden.

Mit der Überführung in einen EWF würde zukünftig EU-Recht gelten, was einer Entmachtung des Bundestages gleichkommen würde. Zum einen hätte nicht mehr der fortbestehende Gouverneursrat, sondern der EU-Ministerrat als EU-Gremium den Letztentscheid. Ein EU-Finanzminister würde die Aufsicht führen, und der EWF wäre dem EU-Parlament rechenschaftspflichtig. Zum anderen soll das Einstimmigkeitsprinzip in wichtigen Fragen zu einer qualifizierten Mehrheit von 85 Prozent aufgeweicht werden. Deutschland hätte zwar auch weiterhin eine Sperrminorität. In eilbedürftigen Entscheidungen würde jedoch der EU-Ministerrat mit „doppelter Mehrheit“ (55 Prozent der Mitgliedstaaten müssen zustimmen, 65 Prozent der EU-Bevölkerung müssen repräsentiert sein) entscheiden können. Damit würde zukünftig auch entgegen einem Votum Deutschlands ein viertes Hilfsprogramm für Griechenland möglich werden.

Eine weitere Aufweichung knüpft an den Bedingungen an. Zukünftig sollen Stabilitätshilfen bereitgestellt werden, „wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt oder [!] seiner Mitglieder unabdingbar ist“. Im ESM-Vertrag stand statt des „oder“ ein „und“. Damit kann das Interesse der Gesamtheit der Währungsunion hintangestellt werden: „Greece first“!

Sodann soll der EWF zusätzlich als Ausfallfonds („Letztsicherung“) für den Bankenabwicklungsfonds dienen. Da dieser in seiner Endausstattung 2024 nur ein Prozent des Wertes der gedeckten Einlagen aller Kreditinstitute in der Bankenunion umfassen wird (entsprechend 55 Milliarden Euro), dürfte eine Bankenkrise ziemlich sicher den Ausfallfonds aktivieren. Da Beschlüsse aufgrund der Eilbedürftigkeit spätestens zwölf Stunden nach Antragstellung zu entscheiden sind, könnten die nationalen Parlamente in der Kürze der Frist de facto nicht beteiligt werden. Schließlich ist die Bankenunion nicht zwangsläufig deckungsgleich mit den Mitgliedern des EWF (Euro-Mitgliedstaaten), da auch weitere EU-Staaten an der Bankenunion teilnehmen können. Diese würden den Schutz quasi kostenfrei erhalten.

Doch damit nicht genug. Auch für schwere konjunkturelle Schieflagen – sogenannte asymmetrische Schocks – soll der EWF herhalten. Ob die Ursache ein marktwidriger Mindestlohn von 9,88 Euro pro Stunde in Frankreich oder die Einführung einer Mindestrente von 1.000 Euro im Monat nach der Wahl in Italien ist, spielt dann keine Rolle mehr. Dabei besteht die Gefahr, daß Teile der nationalen Staatsverschuldung auf die europäische Ebene gehoben werden. Das Stammkapital des EWF müßte über kurz oder lang erhöht werden – einer EU-weiten Umverteilung nationaler Steuergelder, sprich Ausbeutung der „hart arbeitenden Menschen“ (Schulz), wäre kein Halt mehr geboten.

Trotz dieser gravierenden Änderungen will die EU-Kommission den EWF nicht in einem Vertragsänderungsverfahren, sondern über eine sogenannte Vertragsabrundung umwandeln, die ein insgesamt verkürztes Verfahren ermöglichen würde. Auch dies zeigt die Einigkeit von GroKo und EU hinsichtlich von Obergrenzen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.