© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

„Wir sind zum Puff Europas geworden“
Jahrzehntelang ermittelte er im Rotlichtmilieu, heute zieht er ein erschreckendes Fazit: Deutsche Gesetze leisten Organisierter Kriminalität und der sexuellen Ausbeutung Vorschub, bilanziert Manfred Paulus, Ex-Polizist und Autor des Buches „Menschenhandel“
Moritz Schwarz

Herr Paulus, wird hierzulande das Möglichste gegen Zwangsprostitution getan?

Manfred Paulus: Im Gegenteil! Das Thema wird zum Teil sogar tabuisiert.

Tabuisiert? 

Paulus: Vielfach möchte man die Probleme nicht zur Kenntnis nehmen.

Inwiefern? 

Paulus: In Deutschland haben wir dieses Selbstverständnis: Wir sind doch ein Rechtsstaat und beim Thema Sex modern. Dazu aber paßt die Wahrheit nicht. 

Wie sieht diese Wahrheit aus? 

Paulus: Daß andere Länder uns inzwischen so sehen wie wir Thailand. Daß wir zum „Puff Europas“ geworden sind. Daß wir der Organisierten Kriminalität (OK) im Rotlichtmilieu freie Bahn geschaffen haben. Daß wir Zwangsprostitution sogar befördern! Und daß wir sie und das Elend, das sie bedeutet, keineswegs ernsthaft bekämpfen.

Wer ist schuld daran, die Polizei? 

Paulus: Darauf ein ganz klares Nein! Und das sage ich nicht etwa als Vertreter der Polizei, weil ich schon vor Jahren ausgeschieden bin, sondern als Publizist. Nein, die Polizei gibt ihr Bestes. Aber Politik und Gesellschaft lassen sie alleine, wodurch ihr Kampf aussichtslos wird. 

Warum ist das so? 

Paulus: Das frage ich mich auch. Entweder herrscht in der Politik eine unglaubliche Naivität, oder es geht ihr um wirtschaftliche Vorteile, denn Prostitution ist heute ein Milliardenmarkt. 

Im Juli ist das neue Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten, wird das nun nicht die Mißstände beseitigen? 

Paulus: Nein, denn dahinter steckt die gleiche – falsche – „Philosophie“ wie schon hinter dem ersten Prostituiertengesetz von 2002, dem wir die Zustände heute zu verdanken haben.

Nämlich? 

Paulus: Diese verquere Vorstellung, Prostitution sei ein Gewerbe wie jedes andere. Seitdem ist die Rede von „Sexarbeit“ und „Dienstleistung“ – als sei sie eine Dienstleistung wie jede andere.

Warum stimmt das nicht? 

Paulus: Weil dabei ignoriert wird, daß man es im Rotlichtbereich mit einem in Teilen kriminellen Milieu zu tun hat, das eben anders funktioniert als ein normales, ziviles Milieu. Vermutlich würde das Gesetz von 2002 wohl funktionieren, wären seine Adressaten Menschen wie Sie und ich. Aber bei Kriminellen? Das ist doch phantastisch! Die lachen sich kaputt! Sie haben die Freiheiten, die das Gesetz geschaffen hat, nur ausgenutzt, um ihre Machenschaften nun fast ungehindert zu betreiben. Beispiel: Vielleicht das Absurdeste des Gesetzes war es, Zuhältern ein Weisungsrecht gegenüber den Frauen einzuräumen. Kaum zu fassen: Wir sind wohl das einzige Land, in dem der Staat die Macht der Zuhälter über die Frauen gesetzlich unterstützt hat. Seitdem konnten Zuhälter die Frauen etwa anweisen, sich im Bordell nackt zu bewegen oder das Telefon abzuschalten. Alles Umstände, die es der Polizei früher ermöglicht haben, wegen Zuhälterei zu ermitteln. Und natürlich ist durch das Gesetz überhaupt der Straftatbestand Förderung von Prostitution entfallen. Oder das Geschlechtskrankheitengesetz, das es der Polizei ermöglicht hatte, Kontrollen vorzunehmen – und Kontrollen sind meist die einzige Möglichkeit, Mißstände aufzudecken. Kurz: Dieses Gesetz hat nicht den Opfern, es hat den Tätern geholfen! Daß so „luxuriöse“ Verhältnisse Kriminelle aus aller Welt anziehen, hätte eigentlich jedem klar sein müssen.

Warum bringt nun das neue Gesetz auch keine Lösung? Bitte mal konkret!

Paulus: Nehmen Sie etwa die darin enthaltene Kondompflicht. Soll das ein Witz sein? Wie wollen Sie das überprüfen? Oder glauben Sie, die OK hält sich daran, weil es schließlich im Gesetz steht? Ob Kondome benutzt werden, bestimmen ganz andere – aber gewiß nicht der deutsche Gesetzgeber. Wer sich das einbildet, zeigt nur, daß er keine Ahnung hat. Und es zeigt, daß auch das neue Gesetz nichts mit der Realität zu tun hat. 

Sie sagten, entweder sei die Politik naiv oder sie profitiere von den Mißständen. Was denn nun? 

Paulus: Darüber rätsele ich selbst. Deshalb kann ich nur sagen, es muß entweder so sein oder so. Da ich mir ihr Verhalten sonst nicht erklären kann. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus beidem.  

Verabschiedet hat das Gesetz von 2002 die damalige rot-grüne Koalition. Tragen also SPD und die Ökopartei die Verantwortung für das Florieren von Zwangsprostitution und Organisierter Kriminalität?

Paulus: Ich würde das nicht an Parteien festmachen. Denn seit 2005 haben wir eine CDU-geführte Regierung, und die Mißstände sind spätestens seit 2007 öffentlich. Fast ein Jahrzehnt lang haben weder Schwarz-Gelb noch Schwarz-Rot etwas unternommen. Und nun kommt nur ein Gesetz, das auch nichts ändert.

Aber die Kanzlerin hat doch immer wieder beteuert, ihre Politik sei dem „christlichen Menschenbild“ verpflichtet – so sehr, daß sie sich in der Asylkrise sogar über die Gesetzeslage hinwegsetzte. Und SPD und Grüne betonen stets, wie wichtig die humanitären Interessen von Einwanderern seien, daß wir alles Mögliche tun müssen, damit sie sich hier wohlfühlen. Und nun attestieren Sie den Parteien in Sachen Zwangsprostitution, die hauptsächlich ausländische Frauen trifft, Desinteresse. Verlangt das nicht nach einer Erklärung? 

Paulus: Sicher, aber die dürfen Sie nicht von mir erwarten. Fragen Sie die Politik! 

Geht das verfehlte Gesetz von 2002 auf eine ideologische Verblendung der Grünen zurück, wie einige Kritiker meinen? 

Paulus: Nochmal: Ich mache das nicht an einer Partei fest. Alle haben versagt!

Hatten die konservativen Kritiker des Gesetzes von 2002 also recht? 

Paulus: Ich weiß nicht, wer damals in der Politik was gesagt hat, aber ich erlebe, daß private Hilfsorganisationen die Lage ebenso dramatisch wahrnehmen wie ich. Während staatliche Stellen teilweise so unrealistische Einschätzungen geben, daß man fast meinen könnte, sie seien der verlängerte Arm des Milieus.  

Am Beispiel der amerikanischen Alkohol-Prohibition haben wir gelernt, daß Illegalität Organisierte Kriminalität blühen läßt, Legalisierung ihr das Geschäft verdirbt. Warum funktioniert das bei der Prostitution nicht ebenso? 

Paulus: Offensichtlich muß ich das für Sie noch einmal zusammenfassen: Schaut man sich die beiden Prostitutionsgesetze an, merkt man, daß sie für „deutsche“ Verhältnisse gemacht sind. Für normale Frauen, die gewerblich so Geld verdienen wollen. Aber sind denn die vorherrschenden realen Verhältnisse im deutschen Rotlichtmilieu tatsächlich solche normalen Verhältnisse? Nein. Tatsächlich besteht das Gewerbe nicht vor allem aus ordentlichen „Gewerbetreibenden“, sondern aus ausländischen Frauen in der Hand ausländischer Banden. Etwa achtzig bis neunzig Prozent sind Ausländerinnen. Da muß ich doch mal fragen warum? Würden diese Frauen das wirklich alle freiwillig machen, müßten sie viel mehr an beliebigem Sex interessiert sein als deutsche. Glauben Sie das? 

Nein, aber vielleicht sind die Gründe sozialer, nicht zwangsläufig krimineller Natur. 

Paulus: Sie sollten wirklich mal die Rekrutierungsgebiete der OK in Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine besuchen. Dann verstehen Sie, warum der Ausländerinnenanteil so hoch ist. Dann sehen Sie, wie die Verhältnisse dort sind.

Nämlich?

Paulus: Sicher, das beginnt mit der Armut und vermeintlichen Perspektivlosigkeit in solchen Ländern. Mache ich in Schulen dort Präventionsarbeit und frage, wer seine Zukunft eher in Westeuropa als in seiner Heimat sieht, geht sofort mindestens die Hälfte der Hände hoch! Und das sogar in Ländern, in denen es aufwärtsgeht und die eigentlich ihre Jugend selbst brauchen. Inzwischen habe ich es sogar aufgegeben, den jungen Leuten ihren Wunsch, nach Westen zu gehen, auszureden, denn das funktioniert nicht. Was ich tue, ist, sie vor Gefahren zu warnen, die ihnen dabei zum Verhängnis werden können. Etwa das Versprechen von Menschenhändlern, ihnen gute Jobs zum Beispiel in der Gastronomie zu vermitteln. Merken die Mädchen dann irgendwann, als was sie wirklich arbeiten sollen, ist es zu spät. Dann haben die Zuhälter sie längst in der Gewalt, haben sie abhängig gemacht, psychisch, finanziell oder mit Drogen und drohen ihnen mit Gewalt oder erpressen sie, man werde sie an die deutsche Polizei verraten, weil sie illegal ins Land gelangt seien. Und wer nicht spurt, der wird gebrochen, etwa durch Gruppenvergewaltigung – „Zureiten“, wie das im Zuhälter-Jargon heißt. Und dann ist da die Kultur. Beispiel Albanien, wo ein weibliches Wesen einfach nichts wert ist. In Albanien sagt man, eine Frau habe ihren Mund nur aufzumachen, um zu essen. 

Ist die Ursache die islamische Kultur? 

Paulus: Eher die ältere, traditionelle Kultur, der „Kanun“, das albanische Gewohnheitsrecht, das von kriminellen Banden auch gezielt „reaktiviert“ wird, um Frauen leichter ausnutzen zu können. In manchen Ländern schickt sogar die eigene Familie ihre Mädchen nach Europa auf den Strich. Sie dürfen nicht glauben, daß dort die gleichen Vorstellungen von liebender Familie und behütetem Kindsein herrschen wie bei uns. Das dritte sind die in diesen Ländern extrem ausgeprägten kriminellen Strukturen, oft in Verbindung mit der Schwäche des Staates – falls der nicht selbst kriminell ist oder mit den Kriminellen unter einer Decke steckt. Was ich also meine, ist, daß unsere Prostitutionsgesetze für „hiesige“, zivile Verhältnisse gemacht sind, tatsächlich aber auch bei uns im Rotlichtmilieu kaum „hiesige“ Verhältnisse herrschen, sondern teilweise kriminelle. Folglich wirken diese Gesetze auch nicht regelnd, sondern entfesselnd. Und so können im Osten „rekrutierte“ Frauen, Mädchen und sogar Kinder nach Westen verfrachtet und hier unter dem Deckmantel der Legalität ausgebeutet werden, weil wegen der Liberalisierung bei uns keiner mehr richtig hinschaut, da dem Rotlichtmilieu realitätswidrig unterstellt wird, ein normaler Dienstleistungssektor wie jeder andere zu sein.

Muß Prostitution wieder verboten werden? 

Paulus: Ich war lange der Meinung, sie zu verbieten sei nicht der Punkt, der sei, die Kriminalität zu bekämpfen. Inzwischen habe ich umgedacht. 

Also verbieten?

Paulus: Verbieten – das weiß ich nicht, aber auf jeden Fall ist es falsch, sie so legal zu belassen, wie sie es jetzt ist. 

Konkret bitte. 

Paulus: Konkret müssen wir uns klarmachen, daß wir derzeit Gewalt, Zwang und Ausbeutung massiv begünstigen – und das als Rechtsstaat. Für meine Begriffe stellt uns das moralisch elementar in Frage! Und außerdem hört das organisierte Verbrechen an den Grenzen des Rotlichtmilieus nicht auf. Vielmehr dringt es langsam weiter in die Gesellschaft vor. Und unterschätzen Sie nicht seine Macht! Diese Leute haben alles, Geld, Sex und wachsenden Einfluß anzubieten, gepaart mit völliger Skrupellosigkeit bei der Anwendung von Gewalt. Ich befürchte ernstlich, daß wenn wir nicht anfangen, dem endlich effektiv entgegenzuwirken, sich die Verhältnisse auch bei uns in Deutschland eines Tages verschieben werden. Deshalb hoffe ich, die jüngsten Meldungen von einer Unterwanderung der Polizei in Berlin durch ausländische Clans mögen sich als unwahr herausstellen. Denn nach meiner Einschätzung funktioniert unsere Polizei noch als unabhängige staatliche Einrichtung. Gleichzeitig ist sie die letzte Bastion, die wir gegen diese Entwicklung haben. Sind wir aber erst mal in einem Zustand, in dem wir Bürger nicht mehr wissen, ob wir der Polizei noch vertrauen können – dann gnade uns Gott.






Manfred Paulus, war Erster Kriminalhauptkommissar – der höchste Dienstgrad des gehobenen Dienstes – der Landespolizei Baden-Württemberg. Über die Hälfte seiner vierzig Dienstjahre widmete er der Aufklärung von Delikten im Rotlichtmilieu, unter anderem als Leiter des Dezernats zur Bekämpfung von Sexualdelikten und Rotlichtkriminalität der Kripo Ulm. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg sowie an polizeilichen Aus- und Weiterbildungsstätten in anderen Bundesländern. Mehrfach machte er Präventionsarbeit in osteuropäischen Staaten, unter anderem im Auftrag der Hanns-Seidel- und der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie der EU. Zudem beriet er Abgeordnete der CDU-Bundestagsfraktion. 2014 erschien sein Buch „Menschenhandel. Tatort Deutschland“. Geboren wurde Paulus, der als Experte zur Zwangsprostitution in Presse, Funk und Fernsehen zu Gast ist, 1943 in Münsingen auf der Schwäbischen Alb. 

Foto: Milieu auf der Hamburger Reeperbahn: „In Deutschland haben wir dieses Selbstverständnis, ein Rechtsstaat zu sein. Dazu aber paßt die Wahrheit nicht ... Nämlich, daß wir der Organisierten Kriminalität freie Bahn geschaffen haben, Zwangsprostitution fördern und das Elend keineswegs ernsthaft bekämpfen. Andere Länder sehen uns inzwischen so wie wir Thailand“

 

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